Freitag, 27. Juni 2014

27. Juni 1989

Außenminister Alois Mock und sein ungarischer Amtskollege Gyula Horn schneiden den Stacheldraht an der Grenze durch.

27. Juni 1989: In einem symbolischen Akt zerschneiden die Außenminister Österreichs und Ungarns, Alois Mock und Gyula Horn, den Grenzzaun zwischen ihren Ländern bei Sopron.
Ungarn 1989: Wo das Ende des Eisernen Vorhangs begann
Ungarn war das erste kommunistische Land, an dessen Grenze der "Eisenere Vorhang" fiel. Über die Grenze zu Österreich flüchteten im Sommer 1989 schließlich Hunderte DDR-Bürger in die Freiheit.
Das Bild gilt in Österreich als Symbol für das Ende des "Kalten Krieges": Am 27. Juni 1989 schnitten Außenminister Alois Mock (V) und sein ungarische Amtskollege Gyula Horn gemeinsam den "Eisernen Vorhang" an der Grenze durch. Zu diesem Zeitpunkt war dieser allerdings bereits über weite Strecken abgebaut worden - hatte Ungarn doch bereits am 2. Mai begonnen, den Stacheldrahtzaun zu entfernen.
Kleine Freiheiten. Dass Ungarn das erste kommunistische Land war, an deren Grenze der "Eiserne Vorhang" fiel, kam nicht von ungefähr. Das Land war zwar mit der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes 1956 durch sowjetische Truppen zu einem der Symbole der kommunistischen Unterdrückung geworden. Doch bald führte der von Moskaus Gnaden zum Parteichef gewordene Janos Kadar nach und nach Lockerungen und kleine Freiheiten ein, die Ungarn über Jahrzehnte zur "fröhlichsten Baracke" des Ostblocks machten.
Gorbatschow. Doch der vergleichsweise hohe Lebensstandard im Land hatte seinen Preis - das Regime finanzierte sich durch westliche Kredite, die die Staatsschulden immer mehr in die Höhe trieben. Den entscheidenden Impuls für die Möglichkeit einer Wende gab jedoch der Wechsel an der Spitze der Sowjetunion 1985: Der neue Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow verkündete einen neuen Kurs unter den Schlagwörtern "Glasnost" (Offenheit, Transparenz) und "Perestroika" (Umgestaltung).
Kadar entmachtet. In Ungarn geschah der erste Schritt in Richtung der Wende bereits am 22. Mai 1988, als der langjährige KP-Chef Kadar überraschend aus dem Amt gehievt und durch Regierungschef Karoly Grosz ersetzt wurde. Doch Grosz hielt zunächst noch in seiner Politik am Status quo fest. Die entscheidenden Reformschritte, die letztlich einen friedlichen Übergang möglich machten, wagte erst die Regierung seines Nachfolgers auf dem Posten des Ministerpräsidenten, Miklos Nemeth.
Entscheidende Reformschritte. Das Kabinett des bei Amtsantritt im November 1988 erst 40-jährigen Nemeth verabschiedete in schneller Folge grundlegende politische Reformen etwa bezüglich des Versammlungs- und Streikrechts, der Wirtschaftsgesellschaften oder des Wahlrechts. Sie setzte die bereits früher verkündeten Pläne für eine Aufhebung der Grenzsperren in Richtung Österreich in die Tat um und pflegte rege informelle diplomatische Beziehungen zu Österreich und der BRD, oftmals ohne Wissen Moskaus.
Flucht in die Freiheit. Diese Kontakte sollte dem Land nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht zugutekommen. Ab Sommer 1989 schwoll nämlich die Zahl jener DDR-Bürger an, die nach dem Urlaub am Balaton (Plattensee) nicht in den deutschen "Arbeiter- und Bauernstaat" zurückkehren wollten. Das Problem wurde auch einer internationalen Öffentlichkeit bewusst, als am 19. August bei der Friedensveranstaltung "Paneuropäisches Picknick" an der österreichisch-ungarischen Grenze bei Sopron (Ödenburg) Hunderte DDR-Bürger durch ein Durchgangstor in die "Freiheit" stürmten.
Grenzöffnung. Am 10. September kündigte daraufhin die ungarische Regierung an, alle DDR-Bürger Richtung Westen ausreisen zu lassen. Diese Grenzöffnung gilt als ein wichtiger Schritt in Richtung des Falls der Berliner Mauer, der letztlich im November 1989 stattfand.
Opposition. In Ungarn selbst brachten die Reformschritte entscheidende Umwälzungen. Zahlreiche Oppositionsparteien und -bewegungen entstanden. Die Oppositionsgruppen bildeten im März 1989 den "Oppositionellen Runden Tisch", der bis zu den ersten freien Wahlen im Frühjahr 1990 als Vertreter der oppositionellen Kräfte mit der Staatsmacht verhandelte.
Erinnerung an 1956. Eine ganz besondere Rolle spielte bei den Ereignissen die bis dahin unterdrückte Erinnerung an das Jahr 1956. Im Jänner 1989 bekannte Staatsminister Imre Pozsgay - eine der führenden Reformfiguren - öffentlich, dass 1956 ein "Volksaufstand" gewesen war. Damit wurde der offiziellen Darstellung der Ereignisse als "Konterrevolution" der Todesstoß versetzt. Am 16. Juni wurde Imre Nagy, der "Ministerpräsident von 1956", der 1958 hingerichtet und in einem Massengrab verscharrt worden war, gemeinsam mit vier Gefährten in einem Quasi-Staatsbegräbnis erneut beigesetzt.

Republik Ungarn. Am 23. Oktober 1989 - dem 32. Jahrestag der Revolution von 1956 - wurde dann die "Republik Ungarn" ausgerufen und die "Volksrepublik" war Geschichte. Wenige Wochen zuvor hatte bereits die bis dahin alleinregierende Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei (MSZMP) ihre Auflösung und Umwandlung in die Ungarische Sozialistische Partei (MSZP) beschlossen. Die unblutig und schrittweise verlaufende "Wende" wurde schließlich mit den ersten freien Wahlen im Frühjahr 1990 abgeschlossen.