Freitag, 5. Februar 2016

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Ronai Chaker

Offener Brief einer Jesidin an Herrn Todenhöfe

 

Sehr geehrter Herr Todenhöfer,

ich bin eine in Deutschland geborene Jesidin. Ich finde es ist Zeit, einige Worte an Sie zu richten. Meine Urgroßväter waren bedeutende jesidische Stammesführer und sind ein Teil der Geschichte dieses Kampfes, der bis in diese Gegenwart reicht. Ein Kampf, der viele Opfer forderte, aber nur einer Sache gewidmet wurde: sich nicht dem Islam zu unterwerfen. Als diese Kämpfe geführt wurden, gab es die USA nicht.

Ich weiß nicht, welches Ziel Sie verfolgen, Herr Todenhöfer, aber es sind Menschen wie Sie, die mich daran hindern, folgende Fragen zu beantworten.

Wie können die einen sich anmassen, in die Welt zu schreien, was von anderen aus religiösen wie historisch bedingten Gründen tabuisiert wird? Das sollte für einen respektvollen Dialog in Deutschland auch wichtig sein und bitte beachtet werden. Oder wie kann verständlich gemacht werden, dass eine offene Debatte über das Zulassen des eigenen Versagens nicht eine Entehrung darstellt, sondern ein wesentlicher Schritt dahin ist, den Beitrag der eigenen Religion zur Humanisierung des Menschen zu stärken?

Ab dem Beginn der unfreiwilligen Islamisierung mussten die Jeziden, Juden und orientalischen Christen um ihr Überleben gegen eine totalitäre Staatsreligion kämpfen. Heute muss ich schmunzeln, wenn ich in deutschen Nachrichten höre oder lese, der "IS/Daiş" hat nichts mit dem Islam zu tun. Welche Art von Opportunismus und Kapitulation vor Gewaltherrschaft ist das? Das kommt einer Leugnung der Genozide gleich!

"IS/Daiş" gehört zur Geschichte des Islam, die vielleicht niemals der Vergangenheit angehören wird. "IS/Daiş" ist Teil der islamischen Ideologie, einer Ideologie, die seit langer Zeit auch viele Kurden übernahmen, teils aus Angst vor Gewalt für Leib und Leben, teils aus Opportunismus.Die komplexen und nur wenig bekannten Prozesse, durch welche einstige Mehrheiten zu Minderheiten wurden, die ihrem Glauben treu blieben, war der Preis, den sie zahlen mussten: die Ausbildung des Bewusstseins einer kleinen und schwachen Minderheit, einer Stellung, welche Verhaltensformen forderte, die von Vorsicht, Wachsamkeit und dem Bewusstsein von Unterlegenheit geprägt wurden, die sie innerhalb ihrer sich auch auf vielen Ebenen sozial isolierenden Gemeinschaft verteidigten.

Herr Todenhöfer, wir sind die Kinder aus einer historischen Minderheit des Nahen Ostens, wir sind zum beharrlichen Widerstand gegen jegliche Form einer Islamisierung erzogen worden. Es ist schwierig, das nachzuvollziehen, aber dass diese Geschichten nicht erfunden wurden, ist heute wieder zu sehen bei einem andauernden Völkermord im 21. Jahrhundert.Einem Kampf, der bis heute anhält und vielleicht (?) nur durch eine Reform des Islams beendet werden kann. Selbst wenn wir "IS/Daiş" besiegen können, hätten wir noch nicht den Islamismus besiegt. Es werden sich immer wieder neue Gruppierungen bilden. Natürlich ist mir auch klar, dass sie auch Muslime töten, die nicht bereit sind, sich ihrer "religiotischen" Auslegung zu unterwerfen, aber was will man denn erwarten, wenn im Nahen Osten nahezu überwiegend totalitäre Gewaltherrschaften dienstbar sind, deren Ideologie kaum aufgeklärter ist als die von "IS/Daiş"? Dann führt man sich halt Krieg unter religiösem Vorwand.

Arabischer Frühling?

Wenn ich eines von den islamischen Ländern gelernt habe, dann, dass sie gerne von einer Diktatur in die Nächste springen.Meistens sind die Radikalen Islamisten am stärksten vorbereitet. Nein, dieser Konflikt in Syrien ist keine Revolution gegen einen Diktator. In diesem Machtkampf wird versucht eine Tyrannei gegen eine noch schlimmere zu ersetzen. Die Diktatur ist ein islamisches Erbe.

Seit 1400 Jahren hat der Islam es nicht geschafft, die sunnitischen und shiitischen Machtkämpfe in Richtung Säkularisierung zu führen und Staat von Religion zu trennen sowie den Hass innerhalb der unterschiedlichen islamischen Strömungen beizulegen. An diesem Hass ist nicht der Westen schuld.

Herr Todenhöfer, warum haben orientalische Christen, und Jesiden keinen Hass auf den Westen? Warum verüben sie keine Terroranschläge? Der Westen ist ja schließlich schuld an ihren Völkermorden, wenn man Ihren Thesen folgt. Warum verzeichnen die Yeziden in ihrer Geschichte keine Völkermorde durch Juden oder Christen?

Syrien war die Heimat meines Großvaters und sein letzter Wunsch war es, dort beerdigt zu werden. Dennoch bin ich dem Westen nicht böse, wenn sie in Syrien eingreifen. Ich bin dem Westen dankbar. Sollte ein islamischer Staat die Herrschaft an sich reißen, würden in Syrien an jeder Straßenecke geköpfte Leichen liegen und eine Ausbreitung stattfinden, die wir zu Mohammeds Zeiten kannten.

Die Aufklärung des Westen, dient der gesamten Menschheit Herr Todenhöfer. Diese Kultur der Aufklärung ermöglicht eine Koexistenz von Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen, wenn man nur will. Es gibt nur eine Gruppe, die diese Koexistenz gefährdet. Das sind die Islamisten! Sie stellen den Anspruch an alle anderen Kulturen, sich zu unterwerfen und das, nachdem sie ihre eigenen Länder regelrecht ausgemerzt und in ein Chaos gestürzt haben.

Der Islam ist ein Opfer der westlichen Mächte? Aber natürlich… Die Jüdin Safiya war auch ein Opfer des Westens, wie es heute unsere versklavten Töchter sind. Ich bitte Sie!

Herr Todenhöfer, die Golfstatten gehören zu den reichsten Ländern der Welt. Der Westen ist nicht Schuld, dass sie bis heute von den wissenschaftlichen Entwicklungen des Westens abhängig sind. Diesen Staaten fehlen nicht die Mittel um in Forschung, Bildung und Entwicklung zu investieren, sondern ihnen fehlt der Wille!

Sie, Herr Todenhöfer, verharmlosen islamischen Antisemitismus.

Die Verteidigung der Opferhaltung führt dazu, dass rassistisch motivierte Übergriffe von Muslimen auf Juden und Einheimische nicht benannt und debattiert werden, und wer es wagt, Muslime für diese rassistischen Übergriffe verantwortlich zu machen, gilt selbst als Rassist und hierzu ein Beispiel: die EUMCR, eine europäische Beobachtungsstelle gegen Rassismus, unterdrückte eine eigene in Auftrag gegebene Studie über Antisemitismus, als sich herausstellte, dass die ärgsten Antisemiten Muslime sind.

Herr Todenhöfer, täglich werden koptische Mädchen in Ägypten entführt, weil islamistische Prediger der Muslimbruderschaft dies legitimieren. Islamisten, die Sie auf ihrer Facebook-Seite hofieren. Die Muslimbrüder, die verantwortlich für den El Taharrush und zahlreiche Vergewaltigungen und Verbrechen an Frauen sind. Ich frage mich, wo der Aufschrei von Feministinnen bleibt, wenn es um Sie geht.

Sie nutzen den Islamisten als Munition im Kampf gegen eine humanistische Weltanschauung der Aufklärung und Säkularisierung.

Sie verwenden den Begriff "Islamophobie", einen von islamistischen Mullahs erfundenen Begriff zur Vernichtung ihrer Gegner. Es ist ein "blutbefleckter Kampfbegriff", den Sie da benutzen!Ein Begriff der Menschen, die aufgrund ihrer Aufklärungsarbeit hingerichtet werden und wurden, doppelt und dreifach bestraft. Indem wir diesen Begriff in unserer Gesellschaft verwenden, legitimieren wir die Exekutionen und Gräueltaten an diesen Menschen. Wir verteidigen also gleichzeitig die extremistische und menschenrechtsverachtende Weltanschauung des Blasphemieverbots, welches in islamischen Ländern, als Verbrechen gilt.

Sie, Herr Todenhöfer, verhöhnen die wahren Opfer dieser Verbrechen und wirken nicht an der Aufklärung ihrer Geschichte mit, sondern fördern weitere Radikalisierung. Bis heute sind die Jesiden keine anerkannte Religion in islamischen Ländern. Hat dies auch nichts mit dem Islam zutun?

Bitte erweisen Sie mir die Freiheit, Ihnen zu sagen, dass in einer Welt, in der eine Person wie Sie zu der führenden Elite gehört und von deutschen Medien hofiert wird, ich eine Aufklärung und Säkularisierung des Islams bedroht und eine Radikalisierung gefördert sehe.

Es ist Zeit, über die Geschichte meines Volkes und der orientalischen Christen zu berichten, um ihre Thesen zu widerlegen. Es ist Zeit, über den neuen Antisemitismus in Europa zu sprechen und zu fordern, dass der Völkermord an den Armeniern aus dem Jahre 1915 nicht mehr geleugnet, sondern aufgearbeitet wird. Auch meine Familie wurde Opfer dieses Völkermordes von 1915 "Seyfo". Wir brauchen Aufklärung. Etwas zu dem Sie nicht beitragen!

Mit freundlichem Gruß Ronai Chaker