Sonntag, 21. Februar 2016

Saudiarabiens Probleme

Abschied vom süßen Leben

Über Jahrzehnte hat die saudi-arabische Königsfamilie ihre Untertanen am durch immense Ölvorkommen erlangten Reichtum teilhaben lassen und mit freiem Unterricht und gratis Krankenversicherung für das Wohl ihrer Bürger gesorgt. Freilich nur solange diese sich mit der strikten Auslegung des Islam und dem Mangel politischer Rechte arrangieren konnten.
Wer sich daran aber nicht stieß, wurde bisweilen mit nicht gerade fordernden Jobs in der Regierung belohnt. Diese Rechnung geht allerdings nicht mehr auf, seit die Preise für Erdöl seit Juni 2014 drastisch gesunken sind. Der Ölpreis ist von damals 100 Dollar pro Barrel auf derzeit rund 30 Dollar gefallen. Das hat ein gewaltiges Loch in den Staatshaushalt gerissen und bedroht das stille Übereinkommen zwischen Machthabern und Bevölkerung bezüglich staatlicher Unterstützungen.

Größtes Wirtschaftssystem im arabischen Raum

Denn Saudi-Arabien stellt zwar weiterhin das größte Wirtschaftssystem im arabischen Raum. Die Veränderung machen sich jedoch langsam, aber sicher bemerkbar - etwa dadurch, dass der staatseigene Ölkonzern Aramco, der als das weltweit wertvollste Unternehmen gilt, ob des Preisverfalls den Gang an die Börse und den Verkauf von Anteilen an Raffineriegemeinschaftsunternehmen mit ausländischen Firmen in Erwägung zieht.
Auch mit der am Dienstag getroffenen Vereinbarung mit Russland, Katar und Venezuela versuchten die Saudis zunächst, der Ölschwemme Herr zu werden, die Preisspirale nach unten zu brechen und die Ölförderung auf Jänner-Niveau einzufrieren. Wie zielführend das ist, bleibt fraglich, zeigten der Iran, der Irak und Aserbeidschan doch postwendend ihr Desinteresse an dem Vorhaben. Mittlerweile machten die Saudis laut „Independent“ einen Rückzieher und kündigten an, die Ölförderung doch nicht zu drosseln.

Über zwei Drittel unter 30

So oder so: Schlechte Zeiten für die jüngere Generation. Immerhin sind mehr als zwei Drittel der 29 Millionen Einwohner Saudi-Arabiens unter 30, so eine Untersuchung des Woodrow Wilson International Center for Scholars. Der Studie zufolge sind 37 Prozent 14 Jahre oder jünger. Das mag eine für muslimische Staaten nicht überdurchschnittliche Zahl sein, bedeutet aber auch, dass innerhalb des nächsten Jahrzehnts fast zwei Millionen Saudis auf den Arbeitsmarkt treten werden.
Schon jetzt beträgt die Arbeitslosenrate unter den 16- bis 29-Jährigen rund 30 Prozent. Die Ölpreiskrise bedeutet für die jüngeren, auch jene, die einen Job haben oder gerade in Ausbildung sind, ihre Erwartungen herunterzuschrauben. Aller Voraussicht nach werden sie härter als die Generation ihrer Eltern arbeiten müssen, weniger Sicherheit im Job haben und über weniger Vergünstigungen verfügen.

Millionen Gastarbeiter

Viele Saudis hatten es bisher schlicht nicht notwendig zu arbeiten. Und die Jobs, die erledigt werden müssen, machen andere: Die meisten hochqualifizierten Techniker und im Gesundheitsbereich Tätigen stammen aus dem Ausland, zumeist aus Europa und den USA, so die „New York Times“.
Dazu kommen Millionen Gastarbeiter aus Bangladesch, Nepal, Pakistan, den Philippinen und Indien, die vor allem jene Arbeiten verrichten, für die wenig oder keine Qualifikation vonnöten ist. 2013 waren noch neun Millionen im Land. Als Arbeitslosigkeit bereits als Problem ins Visier kam, versuchte die saudische Regierung, die Zahl der Arbeitsmigranten drastisch zu reduzieren. Fast eine Million illegal im Land befindliche Arbeiter nutzten damals die angebotene Straffreiheit und kehrten Saudi-Arabien den Rücken, Unzählige wurden hingegen abgeschoben.

70 Prozent im Staatsdienst

Die Probleme, vor denen junge Saudis nun stehen, sind hausgemacht: Über Jahrzehnte hat sich das Königreich von einem armen, dörflich geprägten Land zu einem modernen wohlhabenden Staat entwickelt - 21 der 29 Millionen Einwohner leben in Großstädten. Der durch Öl erworbene Wohlstand ermöglichte es der machthabenden Königsfamilie, ihre Vorstellung eines besonders streng ausgelegten und konservativen Islam aufrechtzuerhalten: Wo es keine materielle Not gibt, regt sich auch kaum Widerstand.
Allerdings hat man sich zu sehr darauf verlassen, dass die Quelle des Reichtums nie versiegt. 90 Prozent der Staatseinkünfte speisen sich aus Erdöl. Das hat zur Folge, dass 70 Prozent der arbeitenden Saudis im Staatsdienst ihr Geld verdienen. Auch der verbliebene private Sektor ist von staatlichen Förderungen abhängig.

Bezahltes Wenigtun

Im öffentlichen Dienst tätige Saudis machen wiederum spätestens am frühen Nachmittag Feierabend, harte Arbeit ist unbekannt, ebenso die Spezialisierung auf bestimmte Gebiete. Nun brechen die Öleinkünfte weg, immer mehr junge Menschen drängen auf den Arbeitsmarkt, während gleichzeitig die begehrten, mit wenig Aufwand zu erledigenden und mit vielen Benefits aufwartenden Staatsjobs rarer werden - nicht zuletzt weil die Regierung hier den Sparstift angesetzt hat.

Besser ausgebildet als Elterngeneration

Was bleibt, ist der private Sektor, doch hier sind Stellen weniger gut abgesichert und im Durchschnitt schlechter bezahlt. Junge Saudis sind zwar oft besser ausgebildet als ihre Eltern, haben aber der Krise wegen große Schwierigkeiten, Jobs zu bekommen, von Annehmlichkeiten wie Gesundheitsfürsorge, vom Staat bezahlte Wohnmöglichkeiten und Schulbildung für die Kinder ganz abgesehen.
Doch selbst wenn die Jugend von heute gut ausgebildet ist, so geht der Unterricht am Arbeitsmarkt vorbei, seien es Fertigkeiten am Computer, die nicht vermittelt wurden oder aber Fächer wie Mikrobiologie, nach deren Abschluss man noch lange keine Aussicht auf einen Job in einem Krankenhaus hat. Denn was während des Studiums verschwiegen wird, ist, dass man dafür Zusatzqualifikationen benötigt.

Hohe Ausgaben für Stellvertreterkriege

Mit Reformen auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungssektor könnte die Regierung für eine bessere Zukunft für jüngere Menschen sorgen. Dass das Geld im saudischen Staatshaushalt fehlt, liegt aber auch an der unsicheren Lage in der Region und an maßlos überhöhten Ausgaben für Stellvertreterkriege, die zwischen den Saudis und dem Iran in Syrien und im Jemen geführt werden.
Abgesehen davon sind der „New York Times“ zufolge viele einfach noch nicht dazu bereit, sich einer unbekannten Zukunft im Arbeitsleben auszusetzen. Tatsächlich gibt es ja Jobangebote in der Privatwirtschaft. Nimmt man diese wahr, müsste man aber auf Gehalt und Annehmlichkeiten, auf welche die Elterngeneration noch Anspruch erhob, verzichten. Das wurde über Jahrzehnte nicht vorgelebt, und auch Verzicht und Selbstständigkeit müssen wohl noch gelernt werden.