Freitag, 3. April 2015
Offener Brief an die Grünen
Heinzlmaier attackiert Eva Glawischnig heftig (Foto: Sabine Hertel, Wilke)
Hier der offene Brief in voller Länge:
Kommentar von Bernhard Heinzlmaier:
Erstickt die Zivilgesellschaft an der Reglementierungspolitik der Grünen?
Die Grünen reiten wieder. Wie immer stehen sie an erster Stelle, wenn es
um die Normierung, Reglementierung und Gängelung der Zivilgesellschaft
geht. Während die Zurückhaltung der Partei groß ist, wenn es um
Maßnahmen gegen die menschenverachtende Deregulierung der Wirtschaft und
die Freisetzung der Destruktivkräfte des Marktes durch Globalisierung
und Liberalisierung des Handels geht, ist ihre Fantasie und auch ihr
Tatendrang unbegrenzt, wenn sie dem kleinen machtlosen Bürger das Leben
durch Gebote und Verbote verderben kann.
Was die Grünen seit Jahren vorführen, ist die Politik des kleinen
Feiglings, der vor den Mächtigen buckelt und die Schwachen drangsaliert.
Die Grünen, eine Partei unter der Führung einer alarmistischen
Helikopter-Mutti, sind herabgekommen zu einer moralisierenden
Bobo-Bürger-Bewegung, die ihre softifizierten und pazifierten
Kuschelwerte über die Freiheit und Würde des Menschen stellt. Es ist ein
kraftloser Moralismus, dem jeder unkontrollierte Trieb, jede spontane
Lebensäußerung, jeder kleine Exzess suspekt ist. Er ist angeekelt von
der ungestümen, stürmischen, heißblütigen Körperlichkeit der Jugend und
adoriert die leblose Vernunft des abgeklärten und abgestumpften Alters.
Die Altersvernunft wird zur Norm erhoben und den Jungen per Dekret
übergestülpt.
So wird die Autonomie des Einzelnen am Altar eines autoritären
Kommunitarismus der abgestandenen Erwachsenheit geopfert, der versucht,
die Menschen in eine tyrannische Werte-Zwangsgemeinschaft
hineinzudrängen, die mehr an die dörfliche Enge der 1950er Jahre als an
die Offenheit und Freiheit des urbanen Pluralismus der Gegenwart gemahnt.
Der nächste große Wurf, um vor allem den jungen Menschen die Zwangsjacke
des grünen kleinbürgerlichen Fürsorgestaates überzustreifen, wird das
Rauchverbot für alle unter 18-jährigen werden. Obwohl man der Jugend
zumutet, sich ab dem Alter von 16 Jahren an einer moralisch total
verkommenen und programmatisch hohlen Demokratie zu beteiligen, die
nicht mehr als die PR-Agentur von international agierenden Konzernen und
Wirtschaftsorganisationen ist, will man sie in Zukunft von der Polizei
verfolgen lassen, wenn sie sich im Park einen Glimmstängel anzündet. Und
schon ab dem Kindergarten soll dem Nachwuchs der reflexive Umgang mit
Speisen, Getränken, Genussmitteln und so weiter antrainiert werden. Es
soll nicht mehr vorkommen, dass ein junger Mensch sich ein paar Bier
reinkippt, genüsslich an einer Zigarette zieht, Softdrinks konsumiert
oder sich gar am fetten Fleisch des Schweins labt. Genuss soll überhaupt
durch Reflexion und Selbstkontrolle ersetzt werden. Selbstkontrolle und
Selbstoptimierung sollen an die Stelle der Spontanität des Lebens
gesetzt werden, das Nützliche und darum Richtige soll alles Unnütze und
darum vermeintlich Falsche aus dem Weg räumen.
So wird an einer Welt gebastelt, die nur mehr öde und langweilig ist,
weil alles Tun und Handeln der Menschen vorhersehbar und berechenbar,
weil rundum grundvernünftig, sein wird. Man fragt sich schon, warum ein
16-jähriger nicht das Recht haben soll, Tabak zu genießen, auch wenn er
damit seine Gesundheit schädigt? Und wenn die Grünen den 16-jährigen
noch nicht für reif genug dafür halten, eine autonome Entscheidung für
oder gegen ein Suchtmittel zu treffen, warum halten sie ihn dann für
reif genug, an Wahlen teilzunehmen? Vielleicht deshalb, weil sie
überproportional vom Wahlverhalten der Jungen profitieren?
Jedenfalls scheint es notwendig zu sein, die Diskussion über das Niveau
der quälend-primitiven Polit-PR zu heben, der es ja doch nur um
politische Kleinmünzerei auf Kosten von moralisch, rechtlich und
ökonomisch schwachen Bevölkerungsgruppen geht. An Stelle dessen wäre ein
interdisziplinärer Diskurs darüber zu führen, ab welchem Lebensalter von
einem autonomen, zu selbstverantwortlichen Entscheidungen fähigen
Individuum gesprochen werden kann. Kommt dieser Diskurs zum Schluss,
dass 16-jährige das noch nicht sind, so muss man dann dieser Gruppe
konsequenter Weise nicht nur das Rauchen verbieten, sondern ihr gleich
auch das Wahlrecht wieder entziehen.
Und sollte nun jemand auf die Idee kommen zu behaupten, dass der junge
Mensch unter 18 Jahren reif sei für politische Entscheidungen, aber noch
nicht für eine freie Entscheidung über den Konsum von Suchtmitteln, dann
muss der Unter-18-jährige selbst unter dieser Prämisse sein Wahlrecht
verlieren, denn es könnte sich ja eine Partei den Wahlen stellen, die
für das Beibehalten des Rauchens ab 16 Jahren eintritt und damit von den
jungen Menschen eine Entscheidung verlangt, für die sie noch nicht
erwachsen genug sind.
Bis in die 1990er Jahre hat man in der Jugendsoziologie noch von der
beschleunigten Entwicklung der Jugend gesprochen, was bedeutet, dass die
moderne Jugend schneller erwachsen wird als frühere Jugendgenerationen.
Diese Entwicklung ist in den letzten Jahren, sieht man von der
körperlichen Akzeleration einmal ab, gestoppt worden. Für diese These
gibt es vielfältige empirische Belege. Ein besonders eindrucksvoller,
die Elterntage an deutschen Universitäten, an denen Erwachsene mit ihren
volljährigen Kindern an der Hand die zukünftige Ausbildungsstätte
besuchen. Oder österreichische Universitäten, die ihre Studierenden
dadurch infantilisieren, dass sie in den Aulen Tafeln mit den
Jahrgangsbesten aushängen. Das erinnert an den "Mitarbeiter des Monats"
in DDR-Betrieben und an das bravste Kind der Woche, dessen Konterfei im
Eingangsbereich der Kindergärten der 1960er Jahre gerne präsentiert wurde.
Wir gehen offensichtlich rückwärts, zurück in eine Epoche, in der
Anpassung belohnt und Kritik bestraft wurde, in der eine moralisierende
Normopathie das Allgemeine mit aller Gewalt über das Besondere stellte.
Und die Grünen sind es, die diesen in die Vergangenheit eines betulichen
Autoritarismus marschierenden Zug anführen. So betrachtet sind die
Grünen heute die neuen Konservativen, die den Rückschritt in eine Zeit
betreiben, in der die bedächtige Weisheit des Alters die Gesetze
geschrieben hat, denen die Jungen folgen mussten, wollten sie
körperliche Krankheit und sozialen Untergang vermeiden.
Dass zu einem gelungen Leben auch spontanes Handeln ohne Reflexion,
punktuelle Exzesse und dionysischer Rausch gehören, auch wenn man davon
vielleicht nicht gesünder wird, davon haben die neoprotestantischen
grünen Moral- und Normenapostel noch nie etwas gehört. Und anstelle des
Satzes von Kant, der da lautet "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes
zu bedienen!", setzen die Grünen die Untertanen-Logik "Lass die Grünen
für dich denken und mache das, was sie von dir verlangen". Vor einer
Jugend, die eine solche totalitäre Handlungsmaxime internalisiert, muss
sich die Politik der Zukunft nicht fürchten. Sie wird tun, was man von
ihr verlangt.