Freitag, 3. April 2015

Auch was zum Nachdenken

2015 gelten rückkehrende Jihadisten als Sicherheitsrisiko. Doch schon zur Zeit der Jugoslawien-Kriege gab es sogenannte Heimkehrer – weit mehr als heute, viele davon bewaffnet.
 (DiePresse.com)
Nachrichten über Jugendliche, die auch nur darüber nachdenken, in die Kriegsgebiete in Syrien und im Irak zu gehen, schaffen es heute verlässlich auf Titelseiten und werden verlässlich in sozialen Netzwerken geteilt. Die Regierung beschloss trotz Budgetknappheit ein hoch dotiertes Anti-Terror-Paket, auch neue Gesetze sind in Planung. Dass vor knapp 20 Jahren schon einmal Menschen das Land verließen, um in den Krieg zu ziehen, ist in Vergessenheit geraten. Menschen, die kämpften, töteten und Kriegsverbrechen begingen – und dann wieder zurückkehrten. Die öffentliche Aufmerksamkeit, die man diesen Personen schenkte, war mit jener für die heutigen Jihadisten jedoch nicht vergleichbar. Und das ist das eigentlich Erstaunliche an der Geschichte.
Es waren vor allem Gastarbeiter aus Serbien, Bosnien und Kroatien, die es im Laufe der 1990er-Jahre in die Kriegsgebiete ihrer Heimat zog. Vereinzelt auch österreichische Söldner aus dem rechtsextremen Lager, die vor allem in den Reihen kroatischer Milizen auftauchten. Wie viele damals in den Kampf zogen, darüber gibt es nur Schätzungen. Ihre Zahl war jedoch mit Bestimmtheit um ein Vielfaches höher als die der islamistischen Kämpfer heute – die Rede ist von mehreren tausend. Ein Sicherheitsbeamter, der damals die Reisetätigkeiten an den Grenzen überwachte, spricht von „bis zu 50.000 Pendlern am Wochenende, die in Richtung Balkan und anschließend wieder zurück unterwegs waren“. Wobei: Bei Weitem nicht jeder Reisende war ein Kämpfer. Viele besuchten einfach ihre Verwandten.

„Wochenend-Tschetniks“

Aus diesem Reiseverhalten entstand im Volksmund auch der Begriff des „Wochenend-Tschetniks“. Wobei man in Österreich nicht wirklich differenzierte, ob es sich bei den Kämpfern um Serben, Bosnier oder Kroaten handelte. Ein Wochenend-Tschetnik war demnach, wer nach der Arbeit ins Auto oder in den Bus stieg, in Richtung Balkan fuhr, dort bis Sonntag an Kampfhandlungen teilnahm, zurückkehrte und am Montag wieder pünktlich zur Arbeit erschien.
Die öffentliche Aufregung hielt sich trotz der räumlichen Nähe zu den Kriegsschauplätzen sowie der Vielzahl an Kämpfern in Grenzen. Bei den Sicherheitsbehörden standen vor allem muslimische Bosnier und Serben unter Beobachtung. Aus alten Unterlagen des Staatspolizeilichen Dienstes, der Vorläuferorganisation des Verfassungsschutzes, geht hervor, dass die Behörden insbesondere Mitglieder „extremnationalistischer Tschetnik-Organisationen“ als Bedrohung bewerteten. Die österreichischen Exportkrieger verrichteten ihr Werk nämlich weniger in der regulären Jugoslawischen Volksarmee, sondern in den unzähligen paramilitärischen Verbänden, die später für viele Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht wurden.
Das ist auch der Grund dafür, dass sich von den einstigen Kämpfern heute niemand mehr öffentlich darüber äußern will. Viele führenden Mitglieder wurden vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verurteilt. Die, die als Handlanger mit dabei waren, schweigen.
Zumindest zu Beginn der Kriege, Anfang der 1990er-Jahre, geschah die Anwerbung der Kämpfer hierzulande ganz offensiv, etwa in Vereinen. Aufseiten der Bosnier auch in Flüchtlingsunterkünften des Roten Kreuzes oder der Caritas. Die Staatspolizei ermittelte immer wieder gegen Personen, die offensiv – und erfolgreich – Freiwillige anwarben. Als strafrechtliches Instrument diente damals das Delikt der Neutralitätsgefährdung (heute Verbot der Unterstützung von Parteien bewaffneter Konflikte).
Neben Serben und Kroaten hatten auch Bosniens Muslime, insbesondere die radikalen unter ihnen, gute Verbindungen nach Österreich. Ein Verein namens Third World Relief Agency (TWRA) dürfte laut nachrichtendienstlichen Erkenntnissen 350 Mio. Dollar und zahlreiche Kämpfer über Wien in die Kriegsgebiete geschleust haben. Vor Gericht beweisen ließ sich das jedoch nicht. In einer Liste von Unterstützern der TWRA taucht auch der Name Osama bin Laden auf. Vermuteter Zweck der Unterstützungsleistungen: Waffenbeschaffung für ein islamistisches Bataillon in Bosnien.

Kriegsgerät an der Grenze

Im Vergleich zu heute waren die Rückkehrer aller Ethnien nicht nur mehr an der Zahl, sondern auch besser ausgerüstet. An den Grenzen tauchte Kriegsgerät aller Art auf. Vieles davon ging unentdeckt durch die Kontrollen. In beide Richtungen, denn: „Die Zahl der Reisenden war so groß, da konnten wir – zusätzlich zu gesuchten oder verdächtigen Fahrzeugen – in Wahrheit nur Stichproben machen“, erinnert sich ein Zöllner. In den Autos fand man Pistolen, Sturmgewehre, Handgranaten und einmal sogar 400 Kilogramm militärischen Sprengstoff.
Ein Teil des Materials sorgte in Österreich für Unruhe, vor allem Handgranaten landeten in Wien auf dem Schwarzmarkt oder detonierten in einschlägigen Lokalen. Für die Behörden war jedoch nicht ersichtlich, ob es sich dabei um politisch motivierte Taten handelte, oder die Hintergründe eher in der organisierten Kriminalität lagen.
Betrachtet man das Gesamtbild, ist aus heutiger Sicht dennoch überraschend wenig passiert. Zu tun hatte das vor allem damit, dass praktisch alle Ethnien Österreich als Lebens- und Ruheraum sahen, wo sie nicht durch spektakuläre Gewalttaten bei den Behörden für Aufsehen sorgen wollten.
Mit einer Prognose sollte die Staatspolizei jedoch recht behalten. In einer Analyse des Jahres 1997 wird beschrieben, dass aufseiten der bosnischen Moslems die Gefahr bestünde, „dass sich unzufriedene radikale Elemente zu extremistischen Vereinigungen zusammenfinden. Sie könnten versuchen, von Bosnien aus in andere Staaten auszureisen, und würden dann ein nicht zu unterschätzendes Sicherheitsrisiko darstellen.“ Aus genau diesem Milieu stammt der im Herbst festgenommene Prediger Mirsad O., den die Staatsanwaltschaft als Kopf der österreichischen Jihadistenbewegung sieht.

http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/4701061/Osterreich-und-seine-Kriegstouristen?xtor=CS1-15