Sonntag, 27. November 2011

Wie sich die Leutzscher Fanszene trennte: Interview mit dem "Leutzscher Freundeskreis"

Nachdem die BSG Chemie Leipzig im Sommer 2008 den Spielbetrieb in der Kreisklasse aufnahm, gründete sich die IG Chemie. In der Interessensgemeinschaft versuchten Anhänger beider Leutzscher Clubs erfolglos, die gespaltene Fanszene wieder zusammen zu führen. Mittlerweile nennt sich die Faninitiative "Leutzscher Freundeskreis". Mit L-IZ.de sprachen ihre Mitglieder über die Ursachen der Trennung und die Gründe für ihr Scheitern.


Wie haben Sie die Trennung der grün-weißen Fanszene erlebt?


Schon einige Zeit vor der Trennung waren Spannungen innerhalb der Fanszene offensichtlich. Leider ging es dabei immer wieder um das Thema der Politik. Bei einem Auswärtsspiel in Sangerhausen Ende 2007 kam es zum Eklat, als sich Chemie-Fans gegenseitig verprügelten. Parallel dazu fand die Diskussion um das Zentralstadion statt, in dem der FC Sachsen damals spielte. Für die einen war der Umzug der nächste logische Schritt auf dem Weg nach oben, für die anderen Verrat an der eigenen Herkunft, dem Alfred-Kunze-Sportpark. Dass innerhalb der Fanszene Konflikte gärten, war offensichtlich.

Viele nahmen die Ultras als Störenfriede wahr, weil sie beispielsweise in der Stadionfrage klar Stellung bezogen hatten. Viele Fans verstanden das derart, dass die Diablos gegen das Vorankommen des Vereins seien. Hier verlief der Riss. Die Diablos fühlten sich gerade im Zentralstadion immer mehr als Gast im eigenen Haus. Teils gab es sogar hanebüchende Vorfälle wie beim Spiel gegen den Halleschen FC, als die Auswärtsfans aus Halle sämtliche Fanutensilien in das Stadion mitnehmen durften, die Heimfans aus Sicherheitsgründen jedoch nicht. 

Als man für ein Spiel gegen Jenas zweite Mannschaft in den Alfred-Kunze-Sportpark umzog, wurde von Vereinsbediensteten das Gerücht gestreut, die Ultras würden einen Spielabbruch provozieren wollen - was nicht der Fall war.


Dies alles vergiftete das Klima immer mehr. Kaum wer plädierte noch dafür, dass die Lager sich einander zuhören sollten. Als es am Ende in der Saison 2007/08 doch noch zum völlig überraschenden Aufstieg in die Regionalliga reichte, war die Entscheidung der Ultras, den Verein zu verlassen, längst gefallen. Den Zeitpunkt empfanden viele Fans jedoch erst Recht als Verrat. 


Absurderweise wurde den Ultras dabei wahlweise vorgeworfen, den Verein in einer schwierigen Situation im Stich gelassen zu haben oder gerade, als es aufwärts ging, "abgehauen" zu sein. Für die Ultras jedoch war die Situation im großen und ganzen unerträglich geworden. Inzwischen waren sie für viele der Feind im eigenen Verein. So kam es zur Teilung, die vielleicht sogar etwas Schärfe aus der ganzen Situation nahm, weil durch den Rückzug der einen Fraktion keine Eskalationen mehr drohten. Die Aufzählung der Ursachen ist selbstverständlich nicht erschöpfend. Wir selbst waren damals keine Protagonisten und wissen nicht, was noch alles vorgefallen ist.



Sie hatten sich als "IG Chemie" mit dem Vorsatz gegründet, die gespaltene Fanszene wieder einigen zu wollen. Welche Bemühungen und Aktionen hatte es dahingehend seinerzeit Ihrerseits gegeben?
Zunächst einmal wollten wir die Fanszenen wieder miteinander ins Gespräch bringen. Wir organisierten Stammtische und luden beide Seiten dazu ein. Weiterhin wiesen wir in den Fan-Foren stets argumentativ auf die Unsinnigkeit der Situation hin: Der FC Sachsen stand kurz vor dem endgültigen Exitus.

Den Fakt, dass das auch deshalb so war, weil Zuschauereinnahmen und Engagement durch die Teilung in nicht unerheblichem Ausmaß fehlten, realisierten nicht alle. Bei vielen saß die Verbitterung über den Weggang tief. Bei manchen war es sogar blanker Hass. 

Wir dachten damals, dass die Mehrheit der Fans einen geeinten Verein wollen würde und jeder vernünftig denkende Chemiker nichts gegen den Namen "BSG Chemie Leipzig" haben könnte. Dieser Name war die einzige unverhandelbare Konstante seitens der damaligen BSG Chemie. Dass sie diesen Namen nicht hergeben würden, stand fest. Wir dachten, dass dies im Prinzip ein Geschenk wäre, dass sich jeder Chemiker nach diesem Namen sehnen würde, dass dies eigentlich gar keine richtige Forderung als solches sei. 



Deshalb kündigten wir an, dass wir für die Vereinigung unter dem Namen "BSG Chemie Leipzig" sind und dahingehend Aktionen starten wollen. Wir stellten auf der Mitgliederversammlung des FC Sachsen im Winter 2010 einen Antrag zur Einrichtung einer Mitgliederkomission, die die Annäherung der Vereine unterstützen und den beiden Vorständen dazu Vorschläge unterbreiten sollte. 



Der Vorschlag wurde abgelehnt, die Mitglieder erachteten sie als überflüssig und unnütz. Nach dem Rücktritt von Lars Ziegenhorn stand plötzlich die eigentlich schon informell abgelehnte Nachwuchszusammenarbeit mit RB Leipzig auf der Tagesordnung. Da wir wussten, dass eine derartige Vereinbarung ein Zusammengehen mit der BSG Chemie endgültig torpedieren würde, weil deren Mitglieder eine Zusammenarbeit mit RB entschieden ablehnten, opponierten wir dagegen. 

Wir rechneten vor, dass sich diese Vereinbarung auch finanziell nicht lohnen und ein Zusammenschluss mit der BSG finanziell weitaus lukrativer wäre. Leider entschied sich Insolvenzverwalter Heiko Kratz damals gegen unseren Vorschlag und für die Vereinbarung. Nach dieser Enttäuschung sahen wir keinen Sinn mehr in unserer Arbeit als IG Chemie.

Wie fiel die Resonanz der beiden Fanszenen auf Ihre Bemühungen aus?
Von beiden Seiten gab es sowohl Zustimmung als auch eher abwartende und kritische Kommentare. Während wir bei der BSG jedoch für unsere Pläne und Vorschläge schließlich die Mehrheit erreichten, gab es beim FC Sachsen eine Gruppe Mitglieder, die gezielt gegen uns arbeitete und unsere Vorschläge torpedierte.

Worin sehen Sie die Ursachen dafür, dass die Fans des FC Sachsen bei der Mitgliederversammlung 2009 mehrheitlich gegen eine Wiedervereinigung mit der BSG Chemie votierten?
Es ging damals nicht um eine Vereinigung, sondern nur um Gespräche. Es stimmt, eigentlich war alles schon "in Sack und Tüten". In der Saison 2009/2010 hätte man sofort gemeinsam als "BSG Chemie Leipzig" starten können. Die Vorstände waren sich einig, die Mitglieder der BSG Chemie waren dafür, es fehlte nur noch das Votum der Mitglieder des FC Sachsen. Von BSG-Seite hätte man auf sämtliche Ämter und Ansprüche verzichtet - bis eben auf den Namen. 

Da aber die Stimmung von Teilen der Sachsen-Anhängerschaft zu feindlich war gegenüber einer Vereinigung, wurde dann auf diese Abstimmung verzichtet und lediglich über "ergebnisoffene Gespräche" abgestimmt. 

Wir glaubten, dass viele Mitglieder schlicht nicht von den wirklichen Vorgängen, die zur Teilung führten, wussten. Mittlerweile wissen wir, dass diese Chemiker leider nur in der Kategorie "Verräter" dachten. Es ging dort schlicht um Abneigung und Hass. Das eigentlich Traurige an der Situation ist, dass sich die Chemiker untereinander schon derart voneinander entfernt haben.



Diejenigen unter Ihnen, die zunächst weiter dem FC Sachsen die Treue hielten, gehen seit dessen Abwicklung zur BSG Chemie. Warum nicht zur SG Leutzsch?


Wir sind Chemiker, und Chemie ist das, was wir daraus machen. Deshalb wird die BSG Chemie Leipzig auch immer unser Verein sein. Wir waren schon vorher dafür, dass es einen Verein unter diesem Namen gibt. Der 1. FC Lokomotive hat vorgemacht, welche Euphorie und Kraft man unter dem "traditionellen Namen" entfalten kann. Deshalb stand unsere Entscheidung schon fest, bevor die SGLL überhaupt gegründet wurde. 

Wir rechneten ja damit, dass der Untergang des FC Sachsen eine wirklich letzte Chance dafür war, wieder nur einen Verein in Leutzsch spielen zu sehen. Dann wurde die SG Leutzsch aus der Taufe gehoben und der Traum von der Leutzscher Einheit zerplatzte erneut. Schnell solidarisierten sich dieselben Leute mit dem neuen Verein, die unsere Bemühungen als IG Chemie bekämpft hatten. Da fiel die Entscheidung nicht schwer.

Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, damit eine Vereinigung des grün-weißen Fanlagers wieder in greifbare Nähe rücken könnte?
Mittlerweile ist sehr viel passiert und die beiden Lager haben sich durch die unnötige Gründung der SG Leutzsch eher noch weiter voneinander entfernt als einander angenähert. Dazu kommen noch diverse Nicklichkeiten, die das Leben in Leutzsch bestimmen und das Klima vergiften. Wir glauben manchen Leuten auch nicht mehr, wenn sie behaupten, sie würden die Einheit wollen. Fakt ist für uns eines: Wir heißen BSG Chemie Leipzig und nicht anders. 

Wir sind für jeden, der zu uns kommt, offen, denn Chemie ist für alle da. Aber wir lassen uns nicht noch einmal vorführen, wie wir es als IG Chemie taten. Selbstverständlich gilt nach wie vor, dass zwei Vereine in Leutzsch genau einer zu viel ist.