Donnerstag, 3. November 2011

Mike Polley, am 3. November 1990 von der Polizei erschossen

Er gilt als schwärzesten Tag des ostdeutschen Fußballs. Am 3. November 1990 wurde der 18-jährige Berliner Fußball-Fan Mike Polley vor den Toren des Leutzscher Alfred-Kunze-Sportparks erschossen. Hunderte Berliner Fans, darunter auch zahlreiche gewaltbereite Hooligans, hatten zuvor versucht, ins Stadion zu gelangen, um das Spiel des FC Berlin gegen den FC Sachsen Leipzig sehen zu können. Sie wurden von der Polizei mit Knüppeln und Tränengas zurückgedrängt. In der Nähe des Leutzscher Bahnhofs flogen dann Steine auf die Polizei, die daraufhin von der Schusswaffe Gebrauch machte. 

„Ich stand direkt neben Mike, als er getroffen wurde“, erzählt Michael Heinisch. Der heute 46-Jährige begleitete die Berliner Fußballfans an jenem Samstag im November als Streetworker in die Messestadt. „Ich bin immer noch total traurig darüber, was passiert ist und danke Gott, dass ich damals heil davon gekommen bin.“ Man sei friedlich den Weg entlang vom Leutzscher Bahnhof in Richtung Stadion gelaufen und zeigte den wartenden Polizisten die gültigen Eintrittskarten, sagt Heinisch. „Doch plötzlich begannen die uns niederzuknüppeln und wir flüchteten zurück in Richtung Bahnhof – wir wollten nur noch nach Hause“, behauptet der heutige Sozialdiakon und Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Stadtteil Lichtenberg. 

Andere Quellen, wie der damalige Bericht des Polizeioberrats Karl-Heinz Krompholz, sprachen von einer Notlage, in die Einsatzkräfte durch gewaltbereite Fußballfans gelangt seien. Umzingelt von Hunderten Hooligans sei der Schießbefehl erteilt worden, sagte Kompholz im November 1990. Insgesamt fünf Personen wurden durch die Kugeln verletzt. Mike Polley wollte sich offenbar zu einem getroffenen Freund herunterbeugen, als ihn eine Kugel direkt ins Herz traf. Der 18-Jährige starb noch direkt am Unglücksort. 

„Wir waren alle sehr aufgeregt und wussten nicht, dass die meisten Polizisten keine Erfahrung mit solch einer Situation hatten“, sagt Heinisch und fügt an: „Vielleicht hätten viele von uns anders reagiert.“ Heinisch meint den Groll, der sich auf die hoffnungslos unterbesetzte und in Umstrukturierung befindliche Staatsmacht entlud. Die Polizei verfügte an diesem Tag zum Teil nicht einmal über funktionierende Funkgeräte und Schutzkleidung. 

Es sei eine verrückte Zeit des gesellschaftlichen Zusammenbruchs gewesen, meint Heinisch. Trotzdem ist er bis heute darüber enttäuscht, dass niemand für die Todesschüsse zur Verantwortung gezogen wurde. „Es ist überhaupt nichts aufgeklärt worden. Ich wurde zwar als Zeuge befragt, aber es gab damals offenbar auch einen Schulterschluss zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft“, sagte Heinisch gegenüber LVZ-Online. 

Angesichts der Zerstörungen, die ein Teil der Hooligans nach den Schüssen in Leutzsch in der Leipziger Innenstadt anrichteten, mag der fehlende breite Protest gegen die unzureichende Aufklärung der Todesumstände von Mike Polle erklärbar sein. Über 30, zum Teil schwer demolierte Geschäfte – darunter auch das Konsument-Kaufhaus in der Blechbüchse sowie zahlreiche ausgebrannte Fahrzeuge wurden damals von der Polizei protokolliert. Bis heute gilt der Ausnahmezustand am 3. November in Leipzig als eine der schwersten Ausschreitungen, die es in Zusammenhang mit Fußballspielen gegeben hat. 

http://nachrichten.lvz-online.de/leipzig/citynews/erinnerung-an-einen-ausnahmezustand-vor-zwanzig-jahren-wurde-in-leipzig-ein-hooligan-erschossen/r-citynews-a-58071.html



Heute vor 20 Jahren ... 


passend dazu: 

Augenzeugenbericht zu den Vorfällen am 03.11.1990 in Leipzig 

Wir trafen uns um ca. 9.00 Uhr, um mit etwa 100 anderen Fans in PKWs nach Leipzig zu fahren. Als Treffpunkt wurde die Raststätte Michendorf ausgemacht. Dort wurde vereinbart, die Autos in Dehlitzsch stehen zu lassen, um mit dem Nahverkehrszug weiterzufahren. Das klappte dann aber nicht, weil aufgrund von Gleisbauarbeiten der Zug sich verspätete und wir wahrscheinlich zu spät zum Spiel gekommen wären. Wir haben dann eine Nachricht für Nachzügler hinterlassen, daß wir direkt nach Leipzig fahren würden. In Leipzig haben wir die Autos am Stadtrand abgestellt und sind mit Straßen- und S-Bahn zum Stadion gefahren. Inzwischen waren wir etwa 200 Personen. 

Auf dem Weg zum Stadion erfuhren wir, daß man ca. 100 Leute, die mit dem Zug aus Berlin angereist waren, verhaftet hätte. Die Fans hatten gute Laune und freuten sich auf die "Sachsen"-Fans. Abgesprochen war, friedlich zu bleiben und keine Randale zu provozieren. Auf dem Weg zum Stadion wurden von Umstehenden Eintrittskarten verkauft. Vor dem Stadion waren ca. 50 Polizisten aufgezogen - mit Helmen, Schildern und Hunden. 3-4 Leuchtkugeln wurden in die Luft gefeuert. Und es gab die üblichen Sprechchöre und Gesänge. Die Stimmung war gut. Die übergroße Mehrheit verhielt sich friedlich. Nur einige wenige liebäugelten mit einem Konflikt mit der Polizei. Eine verbale Auseinandersetzung unter den Fans schloß sich an. Tenor: Was solle man weiter tun? 

Plötzlich und völlig überraschend warfen Polizisten 6 Gasgranaten in Richtung Fans. 2 Leuchtraketen waren die Antwort. Eine davon traf ein Polizeiauto. Den davonrennenden Fans schoß die Polizei weitere Gasgranaten hinterher. Aus einem vorbeifahrenden Polizeifahrzeug flogen - ohne daß es von Fans attackiert worden wäre - 2 weitere Gasgranaten. Fortan wurde die Stimmung aggressiver und ein wachsender Teil der Scene wollte gegen die Polizei vorgehen. Währenddessen kamen einzelne Fans aus dem Stadion und berichteten, daß die Berliner im Stadion von der Polizei attackiert und von Sachsen- wie Lok-Fans eingekreist worden wären. 

Nach kurzer Diskussion gab es den Versuch, friedlich, mit erhobenen Händen und dem Sprechgesang "Keine Gewalt" ins Stadion zu gelangen. Der Zugang blieb jedoch verwehrt. Auf die an Polizisten gerichtete Frage, weshalb man sie nicht ins Stadion lassen würde, erscholl über Megaphon die Antwort: "Berliner haben heute keinen Zutritt". Daraufhin machte sich lauter Protest bemerkbar. Und die Fans wiesen darauf bin, daß sie Eintrittskarten besäßen und aus Berlin angereist wären, um Fußball zu sehen. Die Polizei ging darauf mit Knüppeln und Hunden gegen die Fans vor. Mehr als 10 Gasgranaten flogen den flüchtenden Fans in Kopfhöhe hinterher. Einige der Anhänger schossen mit Leuchtkugeln zurück. 

Auf der Hauptstraße griffen Fans zu Holzlatten und Steinen. Die Polizei blieb derweil am Stadion zurück. Plötzlich tauchte jedoch ein vollbesetzter Mannschaftswagen auf, der den Fans direkt entgegenfuhr. Er wurde angegriffen, mit Steinen beworfen und mit Leuchtspurmunition beschossen. Der Fahrer legte fluchtartig den Rückwärtsgang ein und fuhr ca. 250 Meter zurück. Die Fans hinterher. Einige warfen dabei die Scheiben umstehender PKWs ein. In einer Kurve blieb der Transporter stecken. Die Polizisten sprangen ab und rannten davon. Der größte Teil der etwa 200 Mann starken Gruppe wandte sich dem Bahnhof Leutzsch zu. Der andere Teil wollte den Wagen starten und zum Stadion fahren. 

Das gelang aber nicht. Ebenso scheiterte der Versuch, ihn umzuwerfen. Dann kam die Idee, ihn anzuzünden. Auch das klappte zunächst nicht. Ein Trabbi wurde schließlich zu Hilfe genommen. Währenddessen kam noch ein russischer Militärlaster die Straße entlang. Es saßen zwei Personen und ein Kind im Führerhaus. Einige Fans stoppten ihn, zwei sprangen auf die Trittbretter, um eine Attacke auf den Wagen zu verhindern. Weiterfahren war unmöglich. Der Fahrer mußte wenden. Unbehelligt fuhr das Fahrzeug nach kurzem Stopp wieder davon. Die Fans setzten ihren Weg Richtung S-Bahnhof fort, um von dort in die Innenstadt zu fahren. Zur gleichen Zeit kamen ein Lada-Funkwagen mit zwei Insassen, ein Kleinbus mit vier Personen und ein vollbesetzter Mannschaftsbus die Straße entlang. 

Einige Polizisten stiegen aus und beschossen die Fans mit Gasgranaten. Steine flogen zurück. Der Funkwagen, in dem noch jemand saß, wurde mit Holzlatten angegriffen. Seitwarts näherten sich weitere Fans. Man hatte sie kurz vorher aus dem Stadion getrieben und nun wollten sie zur Gruppe dazustoßen. Aus ihren Reihen wurde mit Leuchtspurmunition auf die Polizisten geschossen. Plötzlich hielt ein Polizist eine Pistole in der Hand. Ein Fan rief ihm entgegen: "Schieß doch, Bulle". Wenig später wurde geschossen. Dem ersten Schuß konnte der Fan ausweichen, der zweite traf ihn aus etwa 5 Metern Entfernung in den Bauch. Viele der zumeist noch weiter zurück stehenden Fans bekamen das gar nicht so richtig mit. 

Ca. 15 Minuten lang wurde der Verletzte aufgrund fehlender medizinischer Versorgung ziellos herumgetragen. Als dann kurz darauf ein weiterer Polizist gut sichtbar eine Pistole in die Luft streckte, wichen die Fans auf die Gleisanlagen des S-Bahnhofs aus. Sie suchten dort einerseits Schutz, andererseits Schottersteine, die sie als Wurfgeschosse verwandten. Nunmehr zog die Polizei sich im Schutz des zurückrollenden Transporters zurück, feuerte aber weiterhin Gaskartuschen ab. Einzelne Gasgranaten wurden von den Fans zurückgeworfen. Der Abstand zwischen Fans und Polizei wurde immer größer; zudies trennte ein ca. eineinhalb Meter hoher Zaun die Straße vom Gleisgelände. 

Das Fahrzeug der Polizei setzte bis zu einem weiteren inzwischen eingetroffenen Transporter zurück. Polizisten sprangen heraus und es sammelten sich. Plötzlich wurde von ihnen gezielt auf die Fans, die sich alle auf dem Bahnkörper befanden, geschossen. Der Abstand zwischen den zuvorderst stehenden Fans betrug im Moment der Schußabgabe ca. 40 bis 50 Meter. Die Schüsse erfolgten in schneller Abfolge. Man sah Bodeneinschläge, hörte Kugeln um die Ohren pfeifen und Querschläger von den Masten der Oberleitung. Leute schrien, Getroffene knickten zusammen. Trotzdem glaubten die meisten immer noch an Gummigeschosse. und es flogen auch (deshalb) weiter Steine in Richtung der Polizisten. 

Mike P. hatte zum Zeitpunkt, als ihn die Schüsse trafen, einen Abstand von etwa 100 Metern zu den Schützen. Erst nachdem aufgehört wurde zu schießen, kam den Fans richtig zu Bewußtsein, daß scharf geschossen worden war. Es lagen mehrere Verletzte am Boden. Eine unbeteiligte Frau auf dem Bahnsteig hatte aus etwa 150 bis 200 Metern Entfernung einen Beindurchschuß erlitten. Mehrere Personen gingen unbewaffnet und mit erhobenen Händen auf die Polizisten zu und riefen: "Wir haben einen Toten und mehrere Verletzte, wir brauchen einen Notarzt und einen Krankenwagen". Zur Antwort erhielten sie von einem Polizisten mit gezückter Waffe: "Noch einen Schritt und ich schieße!" (Zeugenaussage). 

Es herrschte ein heilloses Durcheinander. Über den Lokführer eines haltenden Zuges und im Bahnhof selber wurde versucht, einen Notarzt herbeizurufen. Im Zug wurde nach einem Arzt gefragt. Eine Frau leistete Erste Hilfe. Der Fahrer eines Feuerwehrfahrzeuges konnte nur unter schweren Androungen dazu bewegt werden, einen Schwerverletzten ins Krankenhaus zu fahren. Die meisten Fans, auch Verletzte mit Bein- und Streifschüssen fuhren mit der Straßenbahn in die Innenstadt. Nur wenige blieben bei den Verletzten zurück. Etliche hatten Angst vor Festnahmen und weiteren Schüssen. In der Leipziger Innenstadt kam es dann zu schweren Zerstörungen. Steine flogen in Schaufenster, Autos und Imbißwagen wurde umgekippt - Randale total. Auch Plünderungen fanden statt. Beteiligt daran waren Fans, aber ebenso normale Passanten. Polizei war während dieser Geschehnisse keine zu sehen. 

(Quelle: Kategorie Blau-Weiss)



http://de.wikipedia.org/wiki/Mike_Polley