Hamburg. Andre P. und FrankS. (Namen geändert) sind Fußballfans. Ihre Liebe gilt dem Hamburger Oberligisten Altona 93. Doch am morgigen Mittwoch finden sich beide in unbehaglichen Rollen wieder: als Angeklagte. Um 9.30 Uhr beginnt vor dem Amtsgericht Bergedorf der Prozess. Tatvorwurf: gefährliche Körperverletzung. Angeblich begangen gegen zwei Zuschauer am 14.Oktober 2012 bei der Partie FC Bergedorf 85 gegen Altona 93 (2:2), zu der die beiden ihre Mannschaft als Fans begleitet hatten.
Der Fall wirft mehr Fragen auf, als es zunächst scheint. Was die Staatsanwaltschaft als Straftat sieht, ist für viele Altona-Fans Zivilcourage. Nach übereinstimmender Darstellung von Zeugen, mit denen das Abendblatt sprach, handelt es sich bei den beiden Geschädigten um Neonazis. Diese seien allerdings in ihrem Auftreten nicht der Bergedorfer Fanszene zuzuordnen gewesen, sondern hätten diese provoziert. Welche Aussagen genau gefallen sind, ist strittig. Zu Beginn der zweiten Halbzeit hätten dann Altonas Fans reagiert, hieß es. Mindestens fünf von ihnen warfen die Nazis kurzerhand aus dem Stadion.
In den Augen der Staatsanwaltschaft begingen Andre P. und Frank S. dabei Straftaten. Sie hätten "dem ebenfalls als Zuschauer auf dem Sportplatz befindlichen H. zwei Faustschläge in Richtung Jochbein und rechtes Ohr versetzt und sodann gegen den Oberschenkel des Zuschauers W. getreten, wodurch H. und W. starke Schmerzen davontrugen", heißt es in einer Zusammenfassung der Anklageschrift. S. soll sein Opfer zudem mit dem Wurf eines Mülleimers verletzt haben.
Die Altonaer Seite sieht das anders. Zwar mochten sich die Beklagten vor dem Prozess nicht öffentlich äußern. Karsten Groth, Leiter der Fan-Abteilung und beim fraglichen Spiel vor Ort, sprach dafür mit dem Abendblatt. "In unserer aktiven Fanszene fühlen sich viele Anhänger einem Grundkonsens zugehörig, der ausländerfeindliches, rassistisches, sexistisches und homophobes Gedankengut ablehnt. Das ist nicht nur demokratisch, sondern auch gut so", sagt Groth. "Uns ist unklar, warum die Staatsanwaltschaft so sehr auf einer Verfahrenseröffnung bestanden hat. Wo doch die entstandenen Schädigungen unterhalb jeder Wirtshaus- bzw. Kiezschlägerei liegen", führt er weiter aus. Gewalttätiges Verhalten wolle er natürlich nicht rechtfertigen. Dennoch liege für ihn hier ein Fall von Zivilcourage vor. Viele Altonaer Fans sehen das ähnlich. Nana Frombach, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Hamburg, wollte zum Hintergrund der Opfer nichts sagen, da sie nicht die Beklagten in diesem Verfahren seien.
Altona 93 ist einer der wenigen Klubs in der Oberliga Hamburg mit einer für fünftklassigen Fußball großen und aktiven Fanszene. Der Verein hat den Ruf einer kleinen Anti-Kommerz-Idylle im Hamburger Fußball. Zu Spitzenspielen kommen mehr als 1000 Zuschauer an die marode Adolf-Jäger-Kampfbahn. Viele Familien nutzen die Oberliga-Partien gerne für einen gemütlichen Sonntagsausflug. Gut 150 Anhänger begleiten ihr Team im Schnitt zu Auswärtsspielen. Die Positionierung gegen rechts ist ein Teil des Selbstverständnisses, findet ihren Ausdruck unter anderem durch ein antirassistisches Fußballturnier am Saisonende. "Altonas Fanszene gilt bei uns als unauffällig. Wenn es überhaupt zu Auseinandersetzungen kommt, dann sind diese alkoholbedingter Natur", sagt Polizeipressesprecher Mirko Streiber.
Nach dem Beginn der Ermittlungen von staatlicher Seite recherchierten auch Altonas Fans. Sie förderten zutage, dass die beiden Neonazis Mitglieder der "Weisse Wölfe Terrorcrew Sektion Hamburg" sein sollen. Der Verfassungsschutz stuft die 2008 gegründete Neonazi-Vereinigung, die sich nach der rechtsextremistischen Skinhead-Band Weisse Wölfe benannte, als "Autonome Nationalisten" ein. Angehörige der Weissen Wölfe fielen seither durch rechtsextremistische Straf- und Gewalttaten auf und müssen sich strafrechtlich verantworten. Bundesweit gebe es rund 50 Aktive, in Hamburg zehn.
Von ihnen könnten morgen einige im Gerichtssaal erscheinen. Anhänger von Altona 93 haben sich bereits angekündigt, um den beiden Angeklagten beizustehen. Mit Spenden, auch vom Oberliga-Rivalen Barmbek-Uhlenhorst, wurde die Finanzierung des Rechtsanwalts unterstützt. Sollte das Amtsgericht Andre P. und Frank S. schuldig sprechen, droht ihnen ein Strafmaß zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Haft.

http://mobil.abendblatt.de/hamburg/altona/article136557046/Neonazis-aus-Stadion-geworfen-Straftat-oder-Zivilcourage.html

Anm: das ist übrigens die Seite der Weissen Wölfe
http://logr.org/hamburgernk/