Sag
Opa, war „Die Presse“ früher auch schon so niveaulos?
Nehmen
wir einmal an, in Graz hätte eine christliche Partei die Wahlen gewonnen und
ein Kommentator hätte daraufhin davor gewarnt, dass bald Kreuzzüge Richtung
Jerusalem aufbrechen würden, um dort wie schon einstens Massenmorde
anzurichten. Nehmen wir an, der Kommentator hätte den christlichen Kandidaten
in die Nähe der NSDAP gerückt und Christentum und Nationalsozialismus
verglichen. Es wurden ja im Namen beider millionenfache Massenmorde verübt. Es
gibt im Christentum ja auch eine antisemitische Tradition… Nehmen wir an, der
Autor hätte daher christliche Hilfsorganisationen wie die Caritas mit der Hamas
gleichgesetzt und gefragt: Ist die Hamas denn keine Terrororganisation mehr,
nur weil sie soziale Hilfswerke betreibt? Die Presse hätte einem solch wirren
Machwerk wohl keinen Millimeter Raum für einen Kommentar gewidmet.
Zurecht.
Solchen
Müll sollte keine Qualitätszeitung drucken. Aber Die Presse hat es getan. Nur
ging es nicht um das Christentum, sondern den Kommunismus. Diese Zeitung druckt
tatsächlich einen
Kommentar, in dem die demokratische Kandidatin Elke Kahr mit
NSDAP-Massenmördern und Grazer Mietpolitik mit Stalinismus und der Hamas
verglichen wird. Gut, der Autor war nur Christian Ortner, aber trotzdem: Das
geht nicht.
Ja,
im Namen des Kommunismus haben einige der größten Verbrecher und Verbrecherregime
der Geschichte geherrscht, unzweifelhaft wurden millionenfache Massenmorde
verübt. Manche Varianten wie der Stalinismus sind schon in der theoretischen
Konzeption glasklar diktatorisch und verbrecherisch.
Alles
unbestreitbar und unbestritten.
Aber
doch ist der Kommunismus keine Sekunde mit dem Nationalsozialismus
gleichzusetzen. Der Kommunismus ist eine kollektivistische Ideologie, die
hochgradig diktaturanfällig ist – aber weder Diktatur noch Massenmord sind Ziel
und Zweck der Ideologie. Wer Marx oder seine Vorgänger liest, wird keinen
Wunsch nach der Vernichtung von Menschen erkennen, sondern das Ziel ihrer
Befreiung.
Natürlich
wurde Marx missbraucht. Kann jedem Autor passieren, auch Evangelisten. Das
Christentum ist ja eine Religion der Liebe, das geht für viele aus dem Neuen
Testament zweifelsfrei hervor. Na zumindest fast zweifelsfrei, da ist der
Spruch mit dem Schwert im Matthäusevangelium, den man sehr leicht als
Gewaltaufruf interpretieren kann und der immer „richtig“ interpretiert werden muss…
Die Presse würde den oben erdachten Kommentar wohl mit einer Begründung wie
dieser ablehnen: „Morde im Namen des Christentums waren ein Missbrauch dieser
Religion, während die Morde im Namen des Nationalsozialismus geradezu Sinn und
Zweck dieser Ideologie waren. Es ist ganz klar, dass sich ein
christlich(-sozial)er Bürgermeister nicht für Morde christlicher
Fundamentalisten in der Vergangenheit verantworten muss.“
Man
kann Christ sein, ohne Kreuzzüge veranstalten zu wollen und man kann Kommunist
sein, ohne Dissidenten erschießen zu wollen. Aber man kann kein Nazi sein, ohne
Menschen in Rassen einzuteilen und die Vernichtung der Minderwertigen zu
fordern. Der Holocaust, die industrielle Vernichtung von Menschen aus
rassistischen Motiven, war dem Nationalsozialismus inhärent, er war und ist
Ziel und Zweck dieser Ideologie, keine spätere Pervertierung. Das mit Grazer
Mietpolitik in einen Zusammenhang zu bringen, beleidigt die Opfer des
Nationalsozialismus – und die des Stalinismus auch.
Christian
Ortners Kommentar ist Müll und eine unglaubliche Frechheit der unbescholtenen
Demokratin Elke Kahr gegenüber. Herr Ortner ist ein intellektuelles Wrack, sich
über ihn aufzuregen lohnt sich nicht. Aber wie kann so was in dieser Zeitung in
Druck gehen? Lesen die Gastkommentare nur noch Praktikanten?
Entschuldigt
euch gefälligst bei Elke Kahr.
Michel
Reimon
Hier der Kommentar im Original:
Sag
Opa, war Josef Stalin eigentlich ein früher Pionier des Mieterschutzes?
CHRISTIAN ORTNER (Die Presse)
Eine
bekennende Marxistin bekommt in Graz 20 Prozent der Stimmen. Das zeigt
überdeutlich, wie notwendig es wäre, auch die Erinnerung an die Verbrechen des
Kommunismus wachzuhalten.
Nehmen wir
einmal an, in Graz wäre eine „Nationale Sozialistische Demokratische
Arbeiterpartei“ (NSDAP), angeführt von einer Parteichefin, die stolz von sich
behauptet, „Faschistin zu sein“, am vergangenen Sonntag zur Gemeinderatswahl
angetreten und hätte 20 Prozent der Stimmen errungen. Man braucht keine
überhitzte Fantasie, um sich vorzustellen, was passiert wäre.
Österreichs
versammelte zu spät gekommene Widerstandskämpfer würden die unmittelbar
bevorstehende Machtübernahme durch die Neonazis herbeiraunen. Internationale
Medien würden in Hundertschaften anreisen, um Hitlers Auferstehung in der
Waldheimat zu reportieren, die EU würde Sanktionen gegen die Steiermark
erwägen.
Nun hat die
Grazer Wahl bekanntlich keine rechtsextreme Partei gewonnen, sondern die
„Kommunistische Partei“. Das ist zwar nicht viel besser, regt aber
interessanterweise fast niemanden auf. Dass eine Partei, deren Firmennamen für
eines der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte steht, von 20 Prozent
der Wahlberechtigten gewählt wird, stellt den Grazer Wählern jedenfalls kein
wirklich gutes Zeugnis aus.
Was werden
diese Leute das nächste Mal wählen, wenn sie sich irgendwie unrund und von
irgendjemandem benachteiligt fühlen? Jemanden, der ihnen erklärt, dass die
Juden schuld an ihrem Unglück seien (wie das im benachbarten Ungarn bereits
prächtig funktioniert)? Noch befremdlicher ist freilich die achselzuckende
Milde, mit der ein großer Teil der veröffentlichten Meinung auf den Wahlsieg
der Kommunisten reagierte. Diese Kommunisten, wurde und wird argumentiert,
seien ja in Wirklichkeit keine, sondern bloß eine Art Mieterschutzvereinigung,
die armen Grazern bei Wohnungsproblemen hilft.
Na und?
Auch Neonazis in Ostdeutschland versuchen regelmäßig, bei sozial
Benachteiligten politisch zu punkten, indem sie ihnen verschiedene
Hilfsleistungen anbieten. Sind deshalb Neonazis, die alten Damen über die
Kreuzung helfen, keine Neonazis? Auch die Hamas im Gazastreifen versteht sich
als eine Art soziales Hilfswerk – aber ist die Hamas deshalb keine
Terrororganisation mehr?
Es ist
keine besondere Innovation, wenn die Anhänger verbrecherischer Ideologien
vorhandene soziale Missstände nutzen, um sich eine politische Basis zu
schaffen. Davon freilich werden die verbrecherischen Ideologien ja nicht weniger
verbrecherisch.
Das trifft natürlich auch auf den Kommunismus zu. Auch Kommunisten, die wie in Graz Menschen bei der Bewältigung ihrer Alltagssorgen helfen, bleiben deshalb Kommunisten und stehen als solche in einer verbrecherischen Tradition, die sich nicht rasend von jener des Nationalsozialismus unterscheidet. Dass die Spitzenkandidatin auch noch stolz einbekennt, „Marxistin“ zu sein, erhöht die Glaubwürdigkeit der Tarnung als bloße Lobby von Mieterinteressen auch nicht eben.
Das trifft natürlich auch auf den Kommunismus zu. Auch Kommunisten, die wie in Graz Menschen bei der Bewältigung ihrer Alltagssorgen helfen, bleiben deshalb Kommunisten und stehen als solche in einer verbrecherischen Tradition, die sich nicht rasend von jener des Nationalsozialismus unterscheidet. Dass die Spitzenkandidatin auch noch stolz einbekennt, „Marxistin“ zu sein, erhöht die Glaubwürdigkeit der Tarnung als bloße Lobby von Mieterinteressen auch nicht eben.
Dass die
Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus bis heute vom Staat
wachgehalten wird, ist vernünftig. Das Grazer Wahlergebnis aber kann man auch
als Hinweis darauf deuten, wie dringend notwendig es wäre, die Verbrechen des
Kommunismus nicht einfach dem großen Vergessen anheimfallen zu lassen. Sonst
glauben die kommenden Generationen, Stalin wäre ein Pionier des Mieterschutzes
gewesen.
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