Donnerstag, 22. Juni 2017

Das Italienische im Wiener Dialekt

Bereits unter den Babenbergern ergaben sich ab dem 12. Jahrhundert auf verschiedene Gebieten Kontakte zwischen Wien und Italien (Vorbildwirkung der italienischen Stadtbaukunst, bald auch Handelsbeziehungen [ab etwa 1200 mit Venedig, 1239 mit Parma]). Zu den wichtigsten aus Italien importierten Handelsgütern gehörten Gewürze, Südfrüchte und Seidenstoffe; Umschlagplatz war Venedig, wo Wiener Kaufleute ab dem 13. Jahrhundert im Fondaco dei Tedeschi, dem Handelshaus der Deutschen, Büros und Lagerräume besaßen. Die Fernstraße Wien-Venedig (im wesentlichen mit der ehemaligen Bundesstraße 17 ident) gewann seit dem politischen Zusammenschluss Österreichs mit der Steiermark (1192) und mit Kärnten und Krain (1335) zunehmend an Bedeutung. Der ursprüngliche Name der Wallrierstraße (Walichstraße) deutet an, dass hier im 13. Jahrhundert „Walchen" (Welsche, das heißt italienische Kaufleute) ansässig waren. Auch italienischer Wein war in Wien begehrt; das im Mittelalter bestehende Importverbot galt nicht für die im Eigentum der Stadt Wien stehende Taverne (ab dem 14. Jahrhundert nachweisbar); ab dem Ende des 15. Jahrhunderts wurden auch einzelnen Wiener Kaufleuten gegen hohe Gebühren Importkontingente bewilligt. Die Keimzelle des 1224 gegründeten Minoritenklosters bildeten Italiener (Piano dei Carpi, Martine da Milano, Giacomo da Treviso); auch die Dominikaner und die Augustiner hatten starke Bindungen nach Italien. An der 1365 gegründeten und 1384 ausgebauten Universität wirkten auch einige Italiener, wie der Mediziner Galeazzo de Santa Sofia aus Padua († 1406; Abgebildet als Stifter im Singertor des Stephansdoms, ein frühes Zeugnis italienischer Malerei in Wien), Jacopo de Castro Romano (erwähnt 1438-1456; Leibarzt Friedrichs III.) und Girolamo Balbo aus Venedig († um 1530; Humanist). Im Spät-Mittelalter sind der Erneuerer des Franziskanerordens und (nur Italienisch oder Latein sprechende) Prediger Johannes Capistran (Capestrano) und der Sekretär Friedrichs III., Enea Silvio Piccolomini zu nennen. Der Humanismus nahm von Italien seinen Ausgang. Für das 15. Jahrhundert lassen sich in Wien der Apotheker Lukas von Venedig und der Glasmaler Onofrio dei Biondo aus Murano nachweisen. Im 16. Jahrhundert war die italienische Festungsbaukunst ("maniera italiana") Vorbild für die Renaissancebefestigung Wiens (gewaltiger Zustrom italienischer Architekten, Baufachleute und Maurer, vor allem aus Oberitalien (beispielsweise Pietro Ferrabosco); viele blieben in Wien ansässig); daneben traten zwar andere Schöpfungen der Renaissance zurück, doch wird das Neugebäude als die bedeutendste „villa suburbana" nördlich der Alpen bezeichnet. Der habsburgische Hof bevorzugte Italiener für kulturell wichtige Hofdienste (Hof- und Theaterarchitekten, Hofmaler, Hofdichter, Hofhistoriographen, Hofkomponisten und Hofsänger) und machte (unter Ferdinand II., der in zweiter Ehe mit Eleonora Gonzaga verheiratet war) die in Italien entwickelte neue Kunstform der Oper in Wien heimisch; auch die Leibärzte (beispielsweise Pius Nikolaus Garelli aus Bologna, der 1723-1739 auch Präfekt der Hofbibliothek war) und Beichtväter des Hofs kamen im 17. und 18. Jahrhundert überwiegend aus Italien. Das Barockzeitalter war so stark italianisiert, dass man Wien wohl als deutsche, ebenso aber auch als „italienische Kapitale" bezeichnete; der italienische Anteil an der Bevölkerung lag in den beiden Jahrzehnten nach 1650 bei 5-10% (etwa die Hälfte der in Wien lebenden Ausländer), und ihr Zuzug wurde, da sie in der Gegenreformation ein treu-katholischen Bevölkerungselement darstellten, gefördert. Die italienische Sprache war nicht nur bei Hof und in gebildeten Schichten geläufig; Gastspiele „welscher Komödianten" und Marionettenspiele erfreuten sich großer Beliebtheit, Theateraufführungen in italienischer Sprache wurden nicht nur von gehobenen Bevölkerungsschichten besucht. Ferdinand III. und Leopold I. dichteten in italienischer Sprache; Pietro Metastasio lebte als Hofdichter in Wien, 1671-1721 erschien in Wien die italienische Zeitung „Corriere italiano". Die Jahrzehnte des Frühbarock wurden von italienischen Künstlern dominiert, der Umbau der Kirche Am Hof (1662) entsprach dem römischen Kirchenbarock. Zur Zeit der zweiten Türkenbelagerung predigte Marco d'Aviano in Wien. Auch die Bauaufträge in der nach dem Sieg über die Türken (1683) einsetzenden hochbarocken Ära lockten zahllose Architekten, Baumeister und Angehörige von Berufen, die mit dem Bauwesen verbunden waren, aus Italien nach Wien; bestimmte Wirtschaftszweige und Gewerbe (beispielsweise Rauchfangkehrer, Seidenweber, Seidenzeugmacher, Stukkateure) waren eindeutig italienisch dominiert, doch integrierten sich deren Angehörige in die Wiener Gesellschaft. Der älteste exakte Plan Wiens mit seinen Vorstädten (1706) stammt von Leander Anguissola und Johann Jakob Marinoni; der „Banco dei giro" (Stadtbanco) und das Dorotheum haben ihre Wurzeln in Italien. Der Verbindung zu Italien förderlich war, dass nach dem Spanischen Erbfolgekrieg Anfang des 18. Jahrhunderts weite Gebiete Italiens zum habsburgischen Machtbereich gehörten (Lombardei, Neapel, Sardinien, Sizilien); Franz Stephan von Lothringen, der Gatte Maria Theresias, erhielt das Großherzogtum Toskana, konnte jedoch seine lothringische Herkunft nicht verleugnen und brachte dann ab der Mitte des 18. Jahrhunderts überwiegend Franzosen in bedeutende Hofämter. Unter Joseph II. wirkten in Wien der Leibarzt Alexander Brambilla (1785 Leiter des Josephinums) und der Arzt Ludwig van Beethovens, Johann Malfatti (Gründer der Gesellschaft der Ärzte, 1837); unter Maria Theresia lehrte an der Universität der Jurist Carl Anton von Martini. Die Globen des Minoriten Vincenzo Coronelli sind Prunkstücke der Globensammlung der Österreichischen Nationalbank. Auch Mozart hatte enge Beziehungen zur "italianità" (Textdichter Lorenzo Daponte, Widerpart Antonio Salieri). Anfang des 19. Jahrhunderts fanden in der Casa piccola geheime Zusammenkünfte italienischer Revolutionäre („Carbonari") statt. Im 19. Jahrhundert zog insbesonders der Straßen- und Bahnbau italienischer Ingenieure und Arbeiter nach Österreich (beispielsweise den Erbauer der Semmeringbahn, Ghega). Komponisten (Rossini), Virtuosen (Paganini), Sänger(innen) und Tänzerinnen (Maria Taglioni) begeisterten die Wiener. Italianismen im Wiener Dialekt haben sich bis heute erhalten, beispielsweise Bassena (bacino, Waschbecken), Gstanzl (stanza, Strophe), Mischkulanz (mescolanza, Mischung), püseln (piscolare, schlummern) und Tschick (cicca, Zigarettenstummel). Die italienische Nationalkirche ist die Minoritenkirche; das Italienische Kulturinstitut befindet sich 3, Ungargasse 43.
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