Die Államvédelmi Hatóság, kurz ÁVH war die nach dem Muster des
sowjetischen NKGB gebildete politische Polizei in Ungarn zwischen 1948 und 1957.
Offizielles Ziel war der Schutz des Systems und dessen Führer durch Verfolgung
von Regimegegnern. Die ÁVH wurde hauptsächlich von Mátyás Rákosi geprägt,
der sie zeitweise vom Hintergrund aus lenkte. Der bewaffnete Arm der
kommunistischen Partei war das Hauptinstrument bei der Bekämpfung der
politischen Gegner.
PRO
Am 1. Februar 1945 wurde
die damals PRO genannte (Politikai Rendészeti Osztály, „Abteilung
Politische Polizei“) im Kreis der Budapester Polizeihauptdirektion gegründet und
stand zunächst unter der Führung von Gábor Péter. In den
chaotischen Zuständen nach dem Rückzug der deutschen Armee begann die erste
einheitliche Staatsschutzorganisation, nach bereits feststehenden Plänen
entscheidende Positionen einzunehmen. Die PRO wurde absichtlich personell
mehrheitlich mit Juden besetzt, damit die gesuchten
Mitglieder der Regierung von Miklós Horthy bzw. der Pfeilkreuzler durch deren ehemalige Opfer
identifiziert werden konnten. Zu den ersten Aufgaben gehörte das Aufspüren von
Aktenlagern der ehemaligen Regierungs- und Ordnungsschutzorgane. Schon zu
dieser Zeit planten die ermittelnden Abteilungen ein Karteisystem. Bereits vor
dem Machterwerb 1949 verfügte die kommunistische Partei über das
Innenministerium, an dessen Spitze ab 1946 der kommunistische Politiker László Rajk stand. Die geheime Finanzierung der
Organisation schuf die Voraussetzungen, um die politische Polizei rasch
auszubauen. Damit das Ausmaß der „gegen die Reaktion kämpfenden Organisation”
(„reakció ellen harcoló szervezet“) den bürgerlichen Parteien verborgen
blieb, nutzten sie Geldquellen, die nicht im Budget vermerkt waren. Dabei
wurden oft kriminelle Mittel wie die Erpressung von Unternehmern und
Privatpersonen herangezogen. Diese illegalen Handlungen wurden von den
Nachfolgeorganisationen fortgesetzt.
ÁVO
Die seit 1946 als ÁVO (Magyar
Államrendőrség Államvédelmi Osztálya, „Staatsschutzabteilung der
Ungarischen Staatspolizei“) bezeichnete Organisation stand unmittelbar unter
der Aufsicht des Innenministers der kommunistischen Partei. Die 13
Unterabteilungen waren mit der Beschaffung von Nachrichten, der Gefahrenabwehr
sowie der Überwachung von Parteien, Kirchen, gesellschaftlichen Vereinigungen
und der Emigration aus Ungarn beschäftigt. Damals begann die Ausweitung der
Staatsschutzabteilungen auf Polizeipräsidien in den Komitatssitzen und auf
größere Direktionen. Obwohl der offiziell vorgeschriebene Aufgabenbereich der
ÁVO sich in erster Linie auf den Schutz der demokratischen Staatsordnung bezog
(Gesetz VII. tc 1946)
beziehungsweise auf das Auffinden von Kriegsverbrechen und Aufklärung von
Verstößen gegen das Völkerrecht unter Hortys Herrschaft, sammelte und
registrierte die Behörde in- und ausländische polizeiliche Daten. Seit die ÁVO
die Arbeit aufgenommen hatte, überwachte sie u. a. Führer der
Koalitionsparteien und hörte Telefonate von Regimegegnern ab.
ÁVH
Infolge der Ernennung von János Kádár zum
Innenminister wurde mit einer Verfügung vom 10. September 1948 ein weiterer
Schritt in Richtung Selbständigkeit der Behörde unternommen. Sie trug nun den
Namen Belügyminisztérium
Államvédelmi Hatósága („Staatsschutzbehörde
des Innenministeriums“) und war mit einem erweiterten Wirkungskreis
ausgestattet, jedoch weiterhin dem Innenministerium untergeordnet. Die
zusätzlichen Kompetenzen betrafen den Grenzschutz, die Polizeibehörden des
Binnenschifffahrts- und Luftverkehrs, die KEOKH(Külföldieket
Ellenőrző Országos Központi Hatóság, „Zentrale Landesbehörde für die
Überwachung von Ausländern“) sowie das Recht zur Ausstellung von Reisepässen.
Im Jahr 1949 wurde die Organisation auch vom Innenministerium unabhängig. Per
Verordnung wurde die Staatsschutzbehörde (Államvédelmi Hatóság) direkt
dem Ministerrat unterstellt. Die ein Jahr später gegründeten neuen
Organisationen wurden in die militärpolitische Abteilung (KATPOL), die militärische Abwehr und den
Grenzschutz des Verteidigungsministeriums eingegliedert. Seither wurde zwischen
zwei bewaffneten Einheiten unterschieden: Die Angehörigen der sogenannten
„blauen ÁVO“ (kék ávó) gehörte zum berüchtigten Staatsschutz, die
Uniformen der „grünen ÁVO“ (zöld ávó) zeigten die Zugehörigkeit zum
Grenzschutz an. Die Organisation strebte die Sicherstellung der totalen
Überwachung an. Intern war sie streng hierarchisch strukturiert. Ihre
Untereinheiten und das breite Agentennetz deckte das ganze Land ab. Das
Denunziantennetz umfasste im Jahr 1953 40.000 Menschen. In der Abteilung
„Karteiregister“ (Nyilvántartási Osztály) waren die Karteikarten von
1.280.000 Staatsbürgern erfasst. Innerhalb von zwei Jahren wurde die
ursprünglich nur wenig Mitarbeiter zählende, unorganisierte und von inneren
Rivalitäten geschwächte PRO in eine gefürchtete Terrororganisation der kommunistischen
Partei umstrukturiert. Die Institution erreichte eine eigenständige Macht, vor
der sich auch ein Teil der Parteiführung zu Recht in Acht nahm. Auf Grundlage
der mit geheimdienstlichen Methoden erworbenen Informationen weitete sie
zwischen 1946 und 1947 ihre Tätigkeit auch auf die kommunistische Partei aus.
Die unmittelbare Aufsicht und Lenkung der Organisation übte Rákosi bzw. der
engste Kreis der Parteiführung aus. Zur Zeit der Gründung wurde ihr Status bei
einer Sitzung des Zentralkomitees folgendermaßen festgelegt: „die ÁVH
ist ein spezielles Organ, das Organ des ZK“ („ÁVH egy speciális szerv, a KV
szerve”). Ab 1948 vollzog die ÁVH – dem sowjetischen Beispiel folgend, und
mit durchgreifender Unterstützung sowjetischer Ratgeber – die Durchführung
verschiedener Schauprozesse.
Seit 1950 begann die ÁVH Internierungslager auszubauen, übernahm die Gefängnisse des Landes, organisierteVertreibungen,
überwachte die Grenzen und entwickelte die Überwachung aller Lebensbereiche,
die totale Diktatur der kommunistischen Partei weiter. Die ÁVH spielte auch
eine wichtige Rolle bei der Niederschlagung des Ungarnaufstands im Jahr 1956.
Bekannte Personen
·
Miklós Bauer (* 20. Januar 1921 in Budapest; † 12.
Juni 2008 ebenda), Oberstleutnant und Verhöroffizier der ÁVH. Er arbeitete
bereits unter Rákosi für die ÁVO und wurde im Zuge des Machtverfalls der
Stalinisten selbst in der Andrássy út interniert, jedoch konnte er einem
Schauprozess entgehen. Er wurde für die ÁVH übernommen.
·
Vladimír Farkas (* als Vladimir Lőwy am 12. August
1925 in Kaschau;
† September 2002 in Budapest), Oberstleutnant und einer der Leiter der ÁVH. Er
veröffentlichte 1990 seineMemoiren mit dem
Titel Nincs mentség. Az ÁVH alezredese voltam. („Es gibt keine Entschuldigung. Ich war Oberstleutnant der ÁVH“, ISBN 9638035129)
·
Gábor Péter (* als Benjámin Eisenberger am 18. Mai 1906 in Újfehértó;
† am 23. Januar 1993 in Budapest) Er spielte 1948 und 1949 eine wichtige Rolle
bei Schauprozessen in der Folge der Machtübernahme der Kommunisten. Sein
politischer Einfluss endete 1952.
·
László Piros (* am 30. Mai 1917 in Újkígyós; † im Januar 2006 in Szeged), von 1950
bis 1953 Kommandant der ÁVH, später Innenminister
·
Ernő Szücs, Oberst
·
István Bálint, Dr. (* 1912; † 1984) Neurologe,
Psychiater, Arzt der ÁVH, Leiter der Medizinischen Abteilung, engster
Vertrauter von Péter; medizinischer Ratgeber der Entwicklung effizienter
Verhörmethoden.
·
Andor Körösi, Dr. Stellvertreter von Bálint
·
Gyula Princz
Örtlichkeiten
In Budapest befanden sich zwei ÁVH-Gefängnisse:
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Im Gebäude in der Andrássy út Nr. 60 war der ÁVH-Hauptsitz. Im
Keller war ein Gefängnis angeschlossen, dessen unterirdisches System sich über
den ganzen Block erstreckte. Heute befindet sich dort das Museum Terror Háza.
·
Am Belgrád
rakpart Nr 5. im 5. Bezirk wurde
ebenfalls ein Kellergefängnis betrieben. Heute ist dort die hauptstädtische
Staatsanwaltschaft untergebracht.
·
In der Attila út 59-61 im 1. Bezirk wurde 1953 das sogenannte ÁVH-Wohnhaus
gebaut, in dem Angestellte der Organisation wohnten.
Die vier Internierungslager befanden sich in Recsk, Kazincbarcika, Kistarcsa und in Tiszalök.
Die offizielle Auflösung der ÁVH war eine der wichtigsten Aufgaben der Entstalinisierung.
Die ersten Schritte fanden im Rahmen eines Machtkampfes innerhalb der
Parteiführung statt. Nach dem Tod Stalins am 5. März 1953 brach ein
innerparteiliche Kampf aus. Im Ergebnis wurde Imre Nagy zum Ministerpräsidenten Ungarns, der
die stalinistische Politik der vorangegangenen Jahre rückgängig machte. Im
Januar und Februar 1953 wurden Gábor Péter und seine Anhänger verhaftet und in
einem nach sowjetischen Muster gestalteten Schauprozess des Zionismus angeklagt. Zu den Anklagepunkten
gehörten auch Verstöße gegen gesellschaftliches Eigentum, Unterschlagung,
Beihilfe zur Flucht ins Ausland, Verletzung von Staatsgeheimnissen, Missbrauch
der Dienstmacht und Verbrechen gegen das Volk. Rákosi versuchte seine Macht zu
bewahren, indem er versuchte, sich an die neuen Moskauer Richtlinien
anzupassen. Als Berija in derSowjetunion inhaftiert wurde, gab man Rákosi die
Möglichkeit, die Hauptverantwortung für seine Gesetzesbrüche an Gábor Péter,
den sogenannten „ungarischen Berija“ abzuwälzen. Anstelle Rákosi persönlich zur
Verantwortung zu ziehen, übernahm die Partei in einer Deklaration auf
sowjetischen Druck hin die Verantwortung, weswegen es versäumt wurde, die ÁVH
gründlich zu untersuchen. Die Untersuchung des Kreises um Péter wurde Ende 1953
abgeschlossen. Im Dezember wurde ein erstes und schließlich am 15. Januar 1954
ein zweites rechtskräftiges Urteil gefällt. In erster Linie wurden die
Gesetzesbrüche der ÁVH sowie deren Rolle bei der Einführung bzw. Durchführung
illegaler Methoden betont. Sowjetischen Anweisungen folgend, unterschrieb der
Ministerrat auf der Sitzung am 17. Juli 1953 die Auflösung der ÁVH als
eigenständiges Organ sowie deren Verbindung mit dem Innenministerium. Die
Entscheidung wurde geheim gefällt, und der Beschluss gelangte nicht an die
Öffentlichkeit. Dies verursachte im Staatsapparat selbst verschiedene
Missverständnisse. Zu der Verwirrung trug auch bei, dass, obwohl die
Selbständigkeit der Organisation formal abgeschafft wurde, die Dienstgrade des
Staatsschutzes aufrechterhalten wurden. Auffällig war auch, dass die
Staatsschutzabteilungen innerhalb des Innenministeriums separat waren. Im Jahr
1954 wurde László Piros zum Innenminister ernannt, der das Ministerium nun zum
Staatsschutzministerium machte. Bis zum Sommer 1956 beruhigte sich die Situation
innerhalb der ÁVH. Systemgegner bekannten sich infolgedessen auf Kundgebungen
mit neuer Kraft gegen das Regime. Vor den Reformen wäre dies noch mit harter
Vergeltung geahndet worden. Infolge der Zwietracht innerhalb der Partei wurde
nun nicht mehr gegen alle Kritiker vorgegangen. In den Kreisen des
Innenministeriums verwischten sich die Grenzen zwischen ÁVH und Polizei immer
mehr. In erster Linie rührte die Konzeption von János Kádár her,
wonach die geschwächte ÁVH zunehmend durch die Polizei ersetzt wurde. Während
des Ungarnaufstandes war die Polizei den Revolutionären daher verdächtig. In
seiner Radioansprache am 28. Oktober 1956 kündigte Imre Nagy die Auflösung der Staatsschutzbehörde
des Rákosi-Regimes und versprach den Aufbau einer demokratischen Polizei, wenn
auch die ÁVH schon drei Jahre zuvor unter Nagys erster Ministerpräsidentschaft
de jure aufgelöst wurde. Während des Aufstands zerfiel die Behörde. Vereinzelte
Mitglieder zogen sich in die Illegalität zurück, andere schlossen sich den Pufajkás an,
einer kurzfristig zusammengestellten bewaffneten Einheit, die bei der
Niederschlagung des Ungarnaufstands aktiv war. Wieder andere schlossen sich
direkt sowjetischen Truppen an und nahmen das Aufsuchen und Überwachen von
Aufständischen in Angriff. Nach dem 4. November 1956 begann mit durchgreifender
sowjetischer Unterstützung die Neuorganisation des Staatsschutzes. Dazu trug
vermutlich auch ein Teil der Führung bei. Die Regierung Kádár konnte es sich
nicht leisten, diese unbeliebte Aufgabe weiter offen auszuüben. Eine völlig
neue ÁVH hätte außerdem potentiell eine Gefahr für Kádár dargestellt. Ferenc Münnich,
der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, verbot am 7. November als
stellvertretender Ministerpräsident im Namen der „Ungarischen Revolutionären
Arbeiter und Bauern – Regierung“ (Magyar Forradalmi Munkás-Paraszt Kormány)
in einer Verordnung die Neuorganisation der Staatsschutzorgane. Zugleich erließ
er die Vorschrift, dass die gegen das Verbot bis dahin aufgebauten Abteilungen
unverzüglich aufzulösen seien. Die Pufajkás führten die Tätigkeiten der ÁVH
aber unverändert fort. Im Dezember 1956 wurden alle ÁVH-Angestellten offiziell
entlassen und unter Überwachung gestellt, um festzustellen, ob die Betreffenden
an den Gesetzlosigkeiten des Staatsschutzes beteiligt waren. Es wurden
Geständnisse erzwungen und Prozesse auf Grund falscher Beschuldigungen
eingeleitet. So kam es zu Inhaftierungen aber auch Misshandlungen, Exilierungen
usw.. Die Untersuchungskommission untersuchte beinahe das gesamte ehemalige
ÁVH-Personal. 1961 setzte das Politbüro der MSZMP die Frage der Verantwortlichkeit der
ÁVH-ler erneut auf die Tagesordnung. Im August 1962 wurde ein Beschluss
akzeptiert, der die Namen von Hauptverantwortlichen benannte und die von der
Staatsschutzbehörde begangenen Verbrechen öffentlich machte. Allerdings war
dies kaum mit gerichtlichen Folgen verbunden, und die Wahrheit wurde auch nicht
vollständig aufgedeckt. Beispielsweise wurde die zwielichtige Rolle Kádárs im
Prozess László Rajk verschwiegen. Nach 1963 existierte die
Staatssicherheit in Form eines inneren Agentensystems.