27. Juni 1989: In einem
symbolischen Akt zerschneiden die Außenminister Österreichs und Ungarns, Alois
Mock und Gyula Horn, den Grenzzaun zwischen ihren Ländern bei Sopron.
Ungarn
1989: Wo das Ende des Eisernen Vorhangs begann
Ungarn war das erste
kommunistische Land, an dessen Grenze der "Eisenere Vorhang" fiel.
Über die Grenze zu Österreich flüchteten im Sommer 1989 schließlich Hunderte
DDR-Bürger in die Freiheit.
Das Bild gilt in
Österreich als Symbol für das Ende des "Kalten Krieges": Am 27. Juni
1989 schnitten Außenminister Alois Mock (V) und sein ungarische Amtskollege
Gyula Horn gemeinsam den "Eisernen Vorhang" an der Grenze durch. Zu
diesem Zeitpunkt war dieser allerdings bereits über weite Strecken abgebaut
worden - hatte Ungarn doch bereits am 2. Mai begonnen, den Stacheldrahtzaun zu
entfernen.
Kleine Freiheiten. Dass
Ungarn das erste kommunistische Land war, an deren Grenze der "Eiserne
Vorhang" fiel, kam nicht von ungefähr. Das Land war zwar mit der
Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes 1956 durch sowjetische Truppen zu einem
der Symbole der kommunistischen Unterdrückung geworden. Doch bald führte der
von Moskaus Gnaden zum Parteichef gewordene Janos Kadar nach und nach
Lockerungen und kleine Freiheiten ein, die Ungarn über Jahrzehnte zur
"fröhlichsten Baracke" des Ostblocks machten.
Gorbatschow. Doch der
vergleichsweise hohe Lebensstandard im Land hatte seinen Preis - das Regime
finanzierte sich durch westliche Kredite, die die Staatsschulden immer mehr in
die Höhe trieben. Den entscheidenden Impuls für die Möglichkeit einer Wende gab
jedoch der Wechsel an der Spitze der Sowjetunion 1985: Der neue Staats- und
Parteichef Michail Gorbatschow verkündete einen neuen Kurs unter den
Schlagwörtern "Glasnost" (Offenheit, Transparenz) und
"Perestroika" (Umgestaltung).
Kadar entmachtet. In
Ungarn geschah der erste Schritt in Richtung der Wende bereits am 22. Mai 1988,
als der langjährige KP-Chef Kadar überraschend aus dem Amt gehievt und durch
Regierungschef Karoly Grosz ersetzt wurde. Doch Grosz hielt zunächst noch in
seiner Politik am Status quo fest. Die entscheidenden Reformschritte, die
letztlich einen friedlichen Übergang möglich machten, wagte erst die Regierung
seines Nachfolgers auf dem Posten des Ministerpräsidenten, Miklos Nemeth.
Entscheidende
Reformschritte. Das Kabinett des bei Amtsantritt im November 1988 erst
40-jährigen Nemeth verabschiedete in schneller Folge grundlegende politische
Reformen etwa bezüglich des Versammlungs- und Streikrechts, der
Wirtschaftsgesellschaften oder des Wahlrechts. Sie setzte die bereits früher
verkündeten Pläne für eine Aufhebung der Grenzsperren in Richtung Österreich in
die Tat um und pflegte rege informelle diplomatische Beziehungen zu Österreich
und der BRD, oftmals ohne Wissen Moskaus.
Flucht in die Freiheit.
Diese Kontakte sollte dem Land nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht
zugutekommen. Ab Sommer 1989 schwoll nämlich die Zahl jener DDR-Bürger an, die
nach dem Urlaub am Balaton (Plattensee) nicht in den deutschen "Arbeiter-
und Bauernstaat" zurückkehren wollten. Das Problem wurde auch einer
internationalen Öffentlichkeit bewusst, als am 19. August bei der
Friedensveranstaltung "Paneuropäisches Picknick" an der österreichisch-ungarischen
Grenze bei Sopron (Ödenburg) Hunderte DDR-Bürger durch ein Durchgangstor in die
"Freiheit" stürmten.
Grenzöffnung. Am 10.
September kündigte daraufhin die ungarische Regierung an, alle DDR-Bürger
Richtung Westen ausreisen zu lassen. Diese Grenzöffnung gilt als ein wichtiger
Schritt in Richtung des Falls der Berliner Mauer, der letztlich im November
1989 stattfand.
Opposition. In Ungarn
selbst brachten die Reformschritte entscheidende Umwälzungen. Zahlreiche
Oppositionsparteien und -bewegungen entstanden. Die Oppositionsgruppen bildeten
im März 1989 den "Oppositionellen Runden Tisch", der bis zu den
ersten freien Wahlen im Frühjahr 1990 als Vertreter der oppositionellen Kräfte
mit der Staatsmacht verhandelte.
Erinnerung an 1956.
Eine ganz besondere Rolle spielte bei den Ereignissen die bis dahin
unterdrückte Erinnerung an das Jahr 1956. Im Jänner 1989 bekannte
Staatsminister Imre Pozsgay - eine der führenden Reformfiguren - öffentlich,
dass 1956 ein "Volksaufstand" gewesen war. Damit wurde der
offiziellen Darstellung der Ereignisse als "Konterrevolution" der
Todesstoß versetzt. Am 16. Juni wurde Imre Nagy, der "Ministerpräsident
von 1956", der 1958 hingerichtet und in einem Massengrab verscharrt worden
war, gemeinsam mit vier Gefährten in einem Quasi-Staatsbegräbnis erneut
beigesetzt.
Republik Ungarn. Am 23. Oktober 1989 - dem 32. Jahrestag der
Revolution von 1956 - wurde dann die "Republik Ungarn" ausgerufen
und die "Volksrepublik" war Geschichte. Wenige Wochen zuvor hatte
bereits die bis dahin alleinregierende Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei
(MSZMP) ihre Auflösung und Umwandlung in die Ungarische Sozialistische Partei
(MSZP) beschlossen. Die unblutig und schrittweise verlaufende "Wende"
wurde schließlich mit den ersten freien Wahlen im Frühjahr 1990 abgeschlossen.