Eklat in ItalienGenua unterwirft sich den Ultras
23.04.2012 ·
Spielunterbrechung wegen Randale: Die Fußballprofis des CFC Genua ziehen unter
Tränen ihre Trikots aus, weil es der Mob von ihnen verlangt. Die Serie A erlebt
einen nicht für möglich gehaltenen Tiefpunkt.
Von JULIUS
MÜLLER-MEININGEN, ROM
Genua wird gerne als Wiege
des Calcio bezeichnet, die Tifosi sind stolz auf ihre Tradition. Vor 119 Jahren
wurde der Genoa Cricket and Football Club als erster italienischer
Fußballverein von britischen Auswanderern gegründet. Am Sonntag, während des
Serie-A-Spiels gegen den AC Siena (1:4), erlebte der Verein den Tiefpunkt
seiner Geschichte. Beim Heimspiel im Stadio Luigi Ferraris erwirkten Ultras
eine Spielunterbrechung und forderten die Spieler dazu auf, ihre Trikots
auszuziehen und der Kurve zu übergeben. Die Fußballer kamen der Anordnung nach.
Eine vergleichbare Geste der Unterwerfung unter das Diktat gewaltbereiter Fans
ist aus dem europäischen Fußballbetrieb nicht bekannt.
Nach den Ausschreitungen vor
dem Länderspiel Italien gegen Serbien 2010 in Genua wurde das Ferraris-Stadion
abermals Schauplatz einer Machtdemonstration der Ultras. „Die Kapitulation des
Calcio“, titelte „La Repubblica“ am Montag. „Wahnsinn in Genua“, schrieb die
„Gazzetta dello Sport“. Dennoch widmeten fast alle Zeitungen dem 4:0-Sieg von
Tabellenführer Juventus Turin gegen den AS Rom am Sonntagabend mehr Platz - als
habe man sich in der Serie A an die dunklen Seiten des Calcio gewöhnt. Immer
noch sorgt der Wettskandal für Schlagzeilen, jahrelang machte der Calcio vor
allem wegen Fan-Randale von sich Reden, immer noch sind rassistische und
antisemitische Ausfälle an der Tagesordnung. Die Unterwerfung des Sports unter
den Mob der Kurve wird da wie eine dunkle Episode unter vielen aufgenommen.
Als Tabellensiebzehnter befindet
sich der CFC Genua im Abstiegskampf und lag schon nach der ersten Halbzeit 0:3
zurück. Kurz nach Wiederanpfiff wurden die 20.000 Zuschauer Zeugen einer
unvergleichlichen Machtprobe. Etwa 60 Ultras hatten sich von der Nordkurve aus
Zugang zur Tribüne verschafft und sich bedrohlich über dem Zugang zum
Kabinentrakt postiert. Nachdem Siena auf 4:0 erhöht hatte (49. Minute), warfen
die Tifosi, die die Spieler in den vergangenen Wochen bereits mehrmals beim
Training oder nach Punktspielen eingeschüchtert hatten, Feuerwerkskörper und
Rauchbomben auf das Spielfeld. Schiedsrichter Tagliavento unterbrach die
Partie.
Weinkrämpfe
auf dem Rasen
Dann folgt die eigentliche
Apokalypse für den Sport, unter Beteiligung einer Reihe zweifelhafter
Protagonisten. Die Profis von Siena verließen den Rasen, als der Schiedsrichter
die Partie unterbrach, die Spieler von Genua blieben im Mittelkreis. Kapitän Marco
Rossi, einer der Beschuldigten im Wettskandal, versuchte mit den Ultras zu
verhandeln, sie zur Ruhe zu bewegen. Doch die Rowdys zeigten sich kompromisslos
und drohten mit weiteren Randalen, falls ihre Forderung nicht erfüllt würde:
Die Spieler müssten ihre Trikots ausziehen und vor der Kurve niederlegen, weil
sie es nicht wert wären, die Farben Genuas zu tragen.
Der Präsident Enrico
Preziosi, einst sechs Monate lang wegen Sportbetrugs gesperrt, hatte sich
inzwischen unter die Spieler auf das Spielfeld gemischt. Das Idol der Fans,
Giuseppe Sculli, diskutierte am Spielfeldrand mit den Fans. Ausgerechnet der
von Lazio ausgeliehene Stürmer, Enkel eines Mafia-Bosses aus Kalabrien und in
der Vergangenheit ebenfalls wegen Sportbetrugs gesperrt, zog sich dann als
einziger das Hemd nicht vom Leib. Sculli wurde anderntags von der Presse
gefeiert. Die Mannschaft hingegen erfüllte die Forderung, vor laufenden Kameras
und unter den ungläubigen Blicken der Zuschauer.
Die Hooligans forderten die Genoa-Spieler auf, ihre Trikots auszuziehen, weil sie der Vereinsfarben nicht mehr würdig seien. Nach Wiederanpfiff der Partie drehten die radikalen Genoa-Fans ihrer Mannschaft den Rücken zu und beschimpften sie mit Sprechchören. Die meisten Zuschauer hatten das Stadion Marassi zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen. Das Spiel endete mit 1:4.
Italiens Fußballverbandspräsident Giancarlo Abete verurteilte die Fan-Randale am Sonntag als "inakzeptabel". "Dies sind keine Fußballfans. Solche Leute dürfen nirgendwo mehr ins Stadion", sagte Abete. Die "Gazzetta dello Sport" bezeichnete die Randalierer auf ihrer Internetseite als "Schande" für den Fußball.
http://www.kleinezeitung.at/sport/fussball/3001781/partie-genua-ausschreitungen-ueberschattet.story