Krawalle in Hamburg Feuer und Plünderungen - Protest eskaliert
Stand: 08.07.2017 04:56 Uhr
Es sollte Protest gegen den G20-Gipfel sein, irgendwann war es aber nur noch blanke Gewalt: In Hamburgs Schanzenviertel brannten in der Nacht Barrikaden, Geschäfte wurden geplündert. Der Debatte, ob Millionenstädte der richtige Ort für Gipfeltreffen sind, gibt das neue Nahrung.
Die Lage im Hamburger Schanzenviertel ist in der Nacht nach gewaltsamen Protesten gegen den G20-Gipfel eskaliert. Nachdem mehrere Geschäfte geplündert und Barrikaden angezündet wurden, rückte die Polizei vor. Sie ging mit einem Großaufgebot gegen etwa 1500 Randalierer vor.
Die Hamburger Polizei bittet die Bevölkerung um Hilfe bei der Suche nach Gewalttätern. Sie schaltete am frühen Morgen ein Hinweisportal im Internet frei.
Auch Anwohner angegriffen
Die Schaufenster etlicher Geschäfte wurden eingeschlagen. Nach Angaben der Polizei wurden teilweise auch Brandsätze in ausgeraubte Läden geworfen. Auch die Beamten seien Ziel massiver Angriffe geworden. Zahlen über Verletzte gibt es noch nicht. Nach Angaben von Reportern griffen die Randalierer teilweise auch Anwohner an, die versucht hatten, Feuer zu löschen.
Nach stundenlangen Ausschreitungen war die Lage laut Polizei am frühen Morgen wieder ruhig. Teilweise hatten sich die Ausschreitungen aber auch in benachbarte Viertel verlagert. Vereinzelt kam es in den frühen Morgenstunden noch zu Flaschenwürfen auf Polizeifahrzeuge.
Merkel: "Nicht zu akzeptieren"
Die Hamburger Polizei zeigte sich schockiert über die Krawalle am Rande des G20-Gipfels. "Wir haben noch nie so ein Ausmaß an Hass und Gewalt erlebt", sagte Sprecher Timo Zill.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte zuvor bereits gesagt, sie habe Verständnis für friedlichen Protest, aber gewalttätige Demonstrationen brächten "Menschenleben in Gefahr" und seien "nicht zu akzeptieren". Bundesjustizminister Heiko Maas forderte konsequente Strafen.
CDU-Innenpolitiker: Linke Zentren dichtmachen
Aus der CDU kommen Rufe, schärfer gegegen linksautonome Kulturzentren vorzugehen. "Linke Zentren wie die Rote Flora in Hamburg oder die Rigaer Straße in Berlin müssen konsequent dichtgemacht werden", sagte der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post". Es dürfe in Deutschland "keine rechtsfreien Räume geben, nicht für arabische Clans, Islamisten oder Neonazis, und auch nicht für Linksradikale".
Die "Rote Flora" liegt im Hamburger Schanzenviertel. Seit fast 30 Jahren besetzt, gilt das ehemalige Theatergebäude bundesweit als eines der wichtigsten Zentren der autonomen Szene. Zwischenzeitliche hatte es Berichte gegeben, wonach die Polizei auch die "Rote Flora" gestürmt haben soll. Dies wurde von Aktivisten aber dementiert.
Die Nacht zuvor war es nach der Demonstration "Welcome to Hell" in mehreren Hamburger Stadtteilen zu Ausschreitungen gekommen. Andreas Blechschmidt, Aktivist von der "Roten Flora" und Anmelder der Demo "Welcome to Hell" distanzierte sich im Gespräch mit dem NDR von "sinnloser Gewalt".
Debatte über Hamburg als Gipfelort
Die massive Gewalt hat auch der Debatte über die Frage, ob es sinnvoll ist, solche Gipfel in Großstädten abzuhalten, neue Nahrung gegeben. Der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl kritisierte die Entscheidung der Bundesregierung, das Spitzentreffen in die Hansestadt zu vergeben. "Man hätte den G20-Gipfel nie in einer Millionenstadt wie Hamburg veranstalten dürfen. Die Sicherheitslage ist dort viel zu schwer zu kontrollieren", sagte er der "Bild"-Zeitung.
Schäuble verteidigt Entscheidung
Kritik kam auch vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK). "Die Politik trägt die alleinige Verantwortung für die zahlreichen verletzten Polizeibeamten und die Zerstörung in der Stadt", sagte der Hamburger BDK-Vorsitzende Jan Reinecke dem "Spiegel". "Hamburg hätte niemals Austragungsort des G20-Gipfels sein dürfen."
Finanzminister Wolfgang Schäuble verteidigte die Entscheidung hingegen. Wenn man Teilnehmer und Medienvertreter zusammenrechne, sei man bei 10.000 Menschen. "Die müssen untergebracht werden. Und das geht ja nur in einer großen Stadt", sagte er im tagesthemen-Interview.
"Wie ein kleiner Krieg": Schwere Krawalle in Hamburg
Ausschreitungen überschatten den Beginn des G20-Gipfels. In Hamburg brennen Autos, Streifenwagen sind beschädigt. Die Polizei zählt bereits 160 verletzte Beamte. Elf Demonstranten werden beim Sturz von einem Absperrgitter schwer verletzt.
Die einen räumen auf, die anderen bringen sich in Sicherheit: Nach einer Krawallnacht vor dem Start des G-20-Gipfels in Hamburg eskaliert am ersten Tag des Treffens die Lage in Hamburg erneut. Rangeleien zwischen Demonstranten und Polizei, Sitzblockaden, brennende Autos und beschädigte Streifenwagen bestimmen am Freitag das Bild an verschiedenen Orten der Hansestadt. Im Stadtteil Bahrenfeld sind nach Angaben der Feuerwehr elf Demonstranten schwer verletzt worden. Sie seien "in Folge einer Konfrontation mit Einsatzkräften" über eine mit einem Absperrgitter versehene Mauer geklettert und dabei abgestürzt, teilte die Feuerwehr am Freitag mit. Das Absperrgitter sei unter der Last der Menschen gebrochen. Die Hamburger Polizei hat nach eigenen Angaben seit Beginn ihres G20-Einsatzes 71 Personen festgenommen. 15 weitere seien in Gewahrsam genommen worden, twittern die Beamten. Der U-Bahn-Verkehr kommt ins Stocken. An den Landungsbrücken werden Demonstranten Steine auf die Schienen. Die Beamten sprechen Warnungen aus: "Bitte lasst die Autos stehen!"
US-Präsidentengattin Melania Trump wird indes von Demonstranten zunächst an der Teilnahme am Partnerprogramm gehindert und muss in ihrer Unterkunft, dem Gästehaus des Senats an der Außenalster, ausharren: Die Polizei gibt ihr angesichts teils blockierter Fahrstrecken keine Sicherheitsfreigabe. Dann wird wegen der schwierigen Sicherheitslage das Partnerprogramm geändert, zu dem der Ehemann von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel, Joachim Sauer, eingeladen hat. Statt dass die Partner der Staats- und Regierungschefs ins Klimarechenzentrum fahren, kommen die Experten ins Hotel "Atlantic", um ihre Vorträge über die Gefahren des Klimawandels dort zu halten.
Polizei sucht bundesweit um Hilfe an
Die Polizei sieht sich am Mittag schließlich genötigt, bundesweit um Hilfe zu ersuchen. Mehrere zusätzliche Hundertschaften werden in Richtung Hamburg in Marsch gesetzt. In Schleswig-Holstein kann die Polizei deshalb die Öffnungszeiten kleiner Polizeidienststellen deshalb nicht mehr garantieren.
An mehreren Orten haben sich zuvor Demonstranten versammelt, die Gruppe "Block G20 - Colour the red zone" kündigt an, in die engste Hochsicherheitszone vorzudringen. Mit Sitzblockaden werden Straßen und Kreuzungen versperrt, die Polizei setzt Wasserwerfer ein. Mehrere Menschen auf Bahngleisen sorgen für Streckensperrungen. Im Hafen blockieren Demonstranten einen wichtigen Knotenpunkt, Lastwagen stauen sich auf einer Zufahrt zur Köhlbrandbrücke, die die Elbinsel Wilhelmsburg mit der Autobahn A7 verbindet. Bengalische Feuer werden gezündet. An mehreren Punkten der Stadt kesseln Beamte Protestler ein.
Viele verletzte Polizisten
Am Bahnhof Altona werfen Gewalttäter Brandsätze, das dortige Bundespolizeirevier wird angegriffen. Ein Polizist in einem Polizeiwagen erleidet dort Schnittverletzungen, als Vermummte die Fahrzeugscheiben mit einem Hammer einschlagen. Vom Vortag bis zum Freitagmittag gibt es nach Polizeiangaben 159 verletzte Beamte (Stand: 12.20 Uhr). Dass es auch verletzte Demonstranten gibt ist klar - unklar ist, wieviele.
Anderswo in der Hansestadt ist es aber fast schon gespenstisch still: Straßen sind entweder ganz oder nur für die An- und Abreise der Staats- und Regierungschefs zum Tagungszentrum Messegelände gesperrt, Radfahrer haben freie Fahrt, Busse machen vor der Innenstadt kehrt. Es sind vollkommen gegensätzliche Bilder, die Hamburg in Gipfel-Zeiten liefert.
Im Schanzenviertel etwa, Schauplatz der Vornacht, könnte es ruhiger als am Freitagmorgen kaum sein. Die Spuren der gewalttätigen Ausschreitungen bei der "Welcome to hell"-Demonstration sind noch zu sehen. Aber die Stadtreinigung dreht bereits ihre Runden durch die Straßen um das linksautonome Zentrum "Rote Flora". Ganze Straßenzüge waren mit Glasscherben und herausgerissenen Pflastersteinen bedeckt, Bankautomaten demoliert. "Ich bin seit 24 Jahren bei der Stadtreinigung und war schon nach vielen Veranstaltungen im Einsatz, aber so etwas habe ich noch nicht gesehen", sagt Andreas W., der - an seinem 53. Geburtstag - mit der Kehrmaschine unterwegs ist.
"R.I.P. Papierkorb.... Mit Kehrmaschinen und 15 Mitarbeitern von 0.30 bis 4.00 unterwegs gewesen", schreibt die Stadtreinigung am Freitagmorgen auf Twitter als Kommentar auf das Foto eines völlig zerstörten Papierkorbs in der Schanze. Einige Stunden später sitzen Bewohner und Touristen vor den Straßencafés des Viertels und genießen den zumindest hier friedlichen Sommermorgen. Der Energieelektroniker Björn M. aus Hannover steht unterdessen verärgert vor seinem Mietwagen mit zertrümmerten Scheiben. Den gebuchten Tiefgaragenplatz habe er am Vortag nicht mehr erreichen können, weil alles abgesperrt gewesen sei. "Ich könnte kotzen!", sagt der 43-Jährige. "Demonstration ja, aber nicht auf diese Weise!
Mehr als 19 000 Polizisten schützen das zweitägige erste G-20-Gipfeltreffen in Deutschland. "Keinen einzigen habe ich in der Nacht in unserer Straße gesehen", berichtet Carmen Meins, die seit 52 Jahren im Schanzenviertel lebt und in einer Nebenstraße wohnt. "Die jagen die Demonstranten alle in die kleinen Gassen, aber von der Polizei sieht man nix", sagt sie, während sie die Scherben vor dem Haus zusammenfegt. "So schlimm habe ich das noch nie erlebt. Das war wie ein kleiner Krieg."
Zerstörte Autos Freitag früh auch in Altona: Im Innenraum eines Wagens, den Unbekannte angezündet haben, kokelt es noch, es riecht nach verkohltem Kunststoff. Bei einem anderem, ein älterer Kleinwagen, keine Statussymbol sind die Scheiben eingeschlagen. Es sei sehr schnell gegangen, sagt der Besitzer. Etwa 100 Maskierte seien es gewesen, mit Bengalos, Hämmern und weiterer Ausrüstung, sagt der Polizist, der die Schäden aufnimmt.
"Hier sind gerade so viele Kinder zur Schule gegangen", sagt ein Anwohner. Er ist aufgebracht, es sei auch der Schulweg seiner Kinder. "Die haben ohne zu gucken Feuerwerk und alles in die Straße reingeworfen", erzählt er. Das habe mit politischen Ansichten nichts mehr zu tun.
http://www.stern.de/politik/deutschland/g20-im-liveblog--das-schanzenviertel-ist-geraeumt-7527810.html
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/g20-in-hamburg-krawalle-und-klassik-bilanz-des-ersten-gipfeltages-a-1156587.html
Die Polizei hat eine erste Pressemitteilung zum "Einsatzgeschehen" herausgegeben. Die wichtigsten Eckpunkte:
- "Barrikaden wurden u.a. im Bereich der Bleicherstraße errichtet und angezündet sowie Polizeibeamte attackiert. Dabei wurden die Einsatzkräfte massiv mit Wurfgegenständen angegriffen."
- "Ein Beamter erlitt dabei einen Unterschenkelbruch."
- "In der Straße Schulterblatt wurden durch Straftäter die Scheiben eines Supermarkts, eines Drogeriemarkts, eines Geldinstituts, eines Backshop´s sowie diverser Modegeschäfte eingeschlagen. Im Anschluss der Sachbeschädigungen fanden diverse Plünderungen statt. Außerdem wurden teilweise Molotowcocktails und Gasflaschen in die geplünderten Läden geworfen."