Historiker räumen mit einem Mythos auf und beleuchten die komplizierten Spielregeln der ZwischenkriegszeitWien – ÖFB-Präsident Richard Eberstaller begann zu schluchzen: Am 19. Februar 1937 wurde auf dem Zentralfriedhof Hugo Meisl begraben, der legendäre Teamchef des "Wunderteams". Dass der Vorsitzende während seiner Grabrede so bitterlich weinte, verwundert: Eberstaller war illegaler Nationalsozialist und Meisl Jude. Handelte es sich um Krokodilstränen? Das sei nicht einfach zu beantworten, sagt Bernhard Hachleitner von der Universität für angewandte Kunst: "Es gibt im Wiener Sport der Zwischenkriegszeit seltsame Koalitionen, bei denen es heute schwerfällt, sie zu begreifen." Hachleitner und seine Kollegen versuchen es dennoch: Im Rahmen eines Projekts in Kooperation mit der Universität Wien erforschen sie die Geschichte der jüdischen Sportfunktionäre in Wien von 1918 bis 1939. Die vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierte Studie vereint zwei zentrale Aspekte der Stadtgeschichte dieser Epoche: Zum einen widmet sie sich der Wien wesentlich mitprägenden jüdischen Kultur. Zu dieser Zeit waren fast elf Prozent der Bevölkerung Juden – bis 1938 war die Stadt damit eine der größten jüdischen Gemeinden Europas. Zum anderen nimmt das Projekt einen weiteren historischen Sachverhalt in den Blick: In der Hauptstadt entwickelte sich seinerzeit der Sport zum Massenphänomen. Das erklärt Projektmitarbeiter Matthias Marschik vom Institut für Publizistik vor allem durch die politischen Erfolge der Arbeiterbewegung: "Das rote Wien schafft in den 1910er-Jahren die Voraussetzungen für diese Entwicklung. Vorher hatte der Großteil der arbeitenden Bevölkerung gar keine Zeit für Sport. Das änderte sich dann nach dem Krieg." Auf einmal schossen die Sportvereine wie Pilze aus dem Boden, und bei fast allen Clubs waren nach den Erkenntnissen der Forscher Juden als Funktionäre tätig. Das räumt mit einem populären Mythos im Wiener Sportgedächtnis auf, der eine jüdische Vergangenheit nur bei den Vereinen SC Hakoah und Austria Wien verortet. Das sei nicht haltbar, erklärt der ebenfalls an der Studie beteiligte Politologe Georg Spitaler vom Verein für Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung: "Die inzwischen klassische Wiener Erzählung von jüdischen und nichtjüdischen Vereinen ist in Wirklichkeit viel komplizierter." Spitaler hat bereits 2009 eine Studie zu Rapid Wiens Vergangenheit im Nationalsozialismus vorgelegt und war damals darauf gestoßen, dass auch in Hütteldorf mit Leo Deutsch und Hans Fischer zwei jüdische Präsidenten amtierten. Das geriet wie bei vielen Wiener Sportvereinen in Vergessenheit – zum einen, weil die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie diesen Teil der Vergangenheit buchstäblich fast auslöschte. Zum anderen war die Definition der jüdischen Existenz im Wien der Zwischenkriegszeit eine vieldiskutierte Frage. Assimiliert und vertuscht So sah sich ein assimiliertes jüdisches Bürgertum angesichts orthodoxer Kriegsflüchtlinge aus Osteuropa wieder mit der Frage nach der eigenen Identität konfrontiert – ebenfalls durch eine städtische Gesellschaft, in der sich der Antisemitismus virulent ausbreitete. Manche Funktionäre definierten sich selbst auch gar nicht als jüdisch oder verschwiegen ihre Herkunft. Das hielt häufig auch die andere Seite so. Das Judentum eines Funktionärs wurde meist in der Öffentlichkeit zur Sprache gebracht angesichts negativer oder lediglich als solcher empfundener Entwicklungen: Niederlagen, Clubpleiten oder die Einführung des Profifußballs. Übliche antisemitische Klischees etwa von jüdischer Gier wurden dann wieder ins Spiel gebracht. "Bodenständig" ist daher laut Spitaler in dieser Zeit auch als eine antisemitische Chiffre für "nichtjüdisch" zu verstehen. Sein Kollege Hachleitner verweist deshalb darauf, dass es bei dieser Thematik nötig sei, ganz genau hinzusehen: "Man muss sich sehr in diese Zeit einlassen, um zu verstehen, welche Begriffe benutzt wurden, um jüdische Zugehörigkeit nur zu thematisieren, oder was man wirklich antisemitisch gebraucht hat und so verstand." In einem bestimmten Kontext konnte auch schon eine freundliche Zuschreibung wie "fleißig" bereits ein vergiftetes Lob sein. Für ihre Untersuchung haben die Wissenschafter im Sinne einer Diskursanalyse neben persönlichen Dokumenten, Selbstbeschreibungen, behördlichen Dokumenten und Vereinschroniken auch die Sportberichterstattung dieser Zeit gesichtet. Dabei sind sie neben einem ebenso vielseitigen Bild der jüdischen Sportfunktionäre auch auf die Vorgehensweisen der Antisemiten gestoßen. Die nationalsozialistische Deutschösterreichische Tages-Zeitung druckte etwa in Hakoahs Meisterschaftsjahr 1925 lange Zeit keine Spielberichte über das Team und geiferte, als der Weg der Krieauer zum Titel nicht mehr zu ignorieren war, über eine angeblich unfaire Spielweise und einschüchternde jüdische Zuschauermassen. Aus dieser braunen Tinte wurde spätestens nach der Annexion 1938 bitterböser Ernst: Die Hakoah wurde nur einen Tag nach dem "Anschluss" aufgelöst. In kürzester Zeit wurden jüdische Sportler und Funktionäre aus Vereinen und Verbänden geworfen und verfolgt – was von den Sportgazetten gefeiert und von der Bevölkerung lautstark begrüßt wurde. Empörung erntete nur, wer sich an geliebten Insignien vergriff: Die Umbenennung der Austria in "SC Ostmark" wurde bereits im Juni 1938 wieder rückgängig gemacht. Um die einst blühende jüdische Sportlandschaft war es da bereits geschehen. (Johannes Lau, 18.3.2016) - derstandard.at/2000032967020-1317/Die-vergessenen-Juden-der-Wiener-Sportclubs
Montag, 16. Mai 2016
Wiens Sport zwischen den Kriegen
Die vergessenen Juden der Wiener Sportclubs
Historiker räumen mit einem Mythos auf und beleuchten die komplizierten Spielregeln der ZwischenkriegszeitWien – ÖFB-Präsident Richard Eberstaller begann zu schluchzen: Am 19. Februar 1937 wurde auf dem Zentralfriedhof Hugo Meisl begraben, der legendäre Teamchef des "Wunderteams". Dass der Vorsitzende während seiner Grabrede so bitterlich weinte, verwundert: Eberstaller war illegaler Nationalsozialist und Meisl Jude. Handelte es sich um Krokodilstränen? Das sei nicht einfach zu beantworten, sagt Bernhard Hachleitner von der Universität für angewandte Kunst: "Es gibt im Wiener Sport der Zwischenkriegszeit seltsame Koalitionen, bei denen es heute schwerfällt, sie zu begreifen." Hachleitner und seine Kollegen versuchen es dennoch: Im Rahmen eines Projekts in Kooperation mit der Universität Wien erforschen sie die Geschichte der jüdischen Sportfunktionäre in Wien von 1918 bis 1939. Die vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierte Studie vereint zwei zentrale Aspekte der Stadtgeschichte dieser Epoche: Zum einen widmet sie sich der Wien wesentlich mitprägenden jüdischen Kultur. Zu dieser Zeit waren fast elf Prozent der Bevölkerung Juden – bis 1938 war die Stadt damit eine der größten jüdischen Gemeinden Europas. Zum anderen nimmt das Projekt einen weiteren historischen Sachverhalt in den Blick: In der Hauptstadt entwickelte sich seinerzeit der Sport zum Massenphänomen. Das erklärt Projektmitarbeiter Matthias Marschik vom Institut für Publizistik vor allem durch die politischen Erfolge der Arbeiterbewegung: "Das rote Wien schafft in den 1910er-Jahren die Voraussetzungen für diese Entwicklung. Vorher hatte der Großteil der arbeitenden Bevölkerung gar keine Zeit für Sport. Das änderte sich dann nach dem Krieg." Auf einmal schossen die Sportvereine wie Pilze aus dem Boden, und bei fast allen Clubs waren nach den Erkenntnissen der Forscher Juden als Funktionäre tätig. Das räumt mit einem populären Mythos im Wiener Sportgedächtnis auf, der eine jüdische Vergangenheit nur bei den Vereinen SC Hakoah und Austria Wien verortet. Das sei nicht haltbar, erklärt der ebenfalls an der Studie beteiligte Politologe Georg Spitaler vom Verein für Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung: "Die inzwischen klassische Wiener Erzählung von jüdischen und nichtjüdischen Vereinen ist in Wirklichkeit viel komplizierter." Spitaler hat bereits 2009 eine Studie zu Rapid Wiens Vergangenheit im Nationalsozialismus vorgelegt und war damals darauf gestoßen, dass auch in Hütteldorf mit Leo Deutsch und Hans Fischer zwei jüdische Präsidenten amtierten. Das geriet wie bei vielen Wiener Sportvereinen in Vergessenheit – zum einen, weil die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie diesen Teil der Vergangenheit buchstäblich fast auslöschte. Zum anderen war die Definition der jüdischen Existenz im Wien der Zwischenkriegszeit eine vieldiskutierte Frage. Assimiliert und vertuscht So sah sich ein assimiliertes jüdisches Bürgertum angesichts orthodoxer Kriegsflüchtlinge aus Osteuropa wieder mit der Frage nach der eigenen Identität konfrontiert – ebenfalls durch eine städtische Gesellschaft, in der sich der Antisemitismus virulent ausbreitete. Manche Funktionäre definierten sich selbst auch gar nicht als jüdisch oder verschwiegen ihre Herkunft. Das hielt häufig auch die andere Seite so. Das Judentum eines Funktionärs wurde meist in der Öffentlichkeit zur Sprache gebracht angesichts negativer oder lediglich als solcher empfundener Entwicklungen: Niederlagen, Clubpleiten oder die Einführung des Profifußballs. Übliche antisemitische Klischees etwa von jüdischer Gier wurden dann wieder ins Spiel gebracht. "Bodenständig" ist daher laut Spitaler in dieser Zeit auch als eine antisemitische Chiffre für "nichtjüdisch" zu verstehen. Sein Kollege Hachleitner verweist deshalb darauf, dass es bei dieser Thematik nötig sei, ganz genau hinzusehen: "Man muss sich sehr in diese Zeit einlassen, um zu verstehen, welche Begriffe benutzt wurden, um jüdische Zugehörigkeit nur zu thematisieren, oder was man wirklich antisemitisch gebraucht hat und so verstand." In einem bestimmten Kontext konnte auch schon eine freundliche Zuschreibung wie "fleißig" bereits ein vergiftetes Lob sein. Für ihre Untersuchung haben die Wissenschafter im Sinne einer Diskursanalyse neben persönlichen Dokumenten, Selbstbeschreibungen, behördlichen Dokumenten und Vereinschroniken auch die Sportberichterstattung dieser Zeit gesichtet. Dabei sind sie neben einem ebenso vielseitigen Bild der jüdischen Sportfunktionäre auch auf die Vorgehensweisen der Antisemiten gestoßen. Die nationalsozialistische Deutschösterreichische Tages-Zeitung druckte etwa in Hakoahs Meisterschaftsjahr 1925 lange Zeit keine Spielberichte über das Team und geiferte, als der Weg der Krieauer zum Titel nicht mehr zu ignorieren war, über eine angeblich unfaire Spielweise und einschüchternde jüdische Zuschauermassen. Aus dieser braunen Tinte wurde spätestens nach der Annexion 1938 bitterböser Ernst: Die Hakoah wurde nur einen Tag nach dem "Anschluss" aufgelöst. In kürzester Zeit wurden jüdische Sportler und Funktionäre aus Vereinen und Verbänden geworfen und verfolgt – was von den Sportgazetten gefeiert und von der Bevölkerung lautstark begrüßt wurde. Empörung erntete nur, wer sich an geliebten Insignien vergriff: Die Umbenennung der Austria in "SC Ostmark" wurde bereits im Juni 1938 wieder rückgängig gemacht. Um die einst blühende jüdische Sportlandschaft war es da bereits geschehen. (Johannes Lau, 18.3.2016) - derstandard.at/2000032967020-1317/Die-vergessenen-Juden-der-Wiener-SportclubsHistoriker räumen mit einem Mythos auf und beleuchten die komplizierten Spielregeln der ZwischenkriegszeitWien – ÖFB-Präsident Richard Eberstaller begann zu schluchzen: Am 19. Februar 1937 wurde auf dem Zentralfriedhof Hugo Meisl begraben, der legendäre Teamchef des "Wunderteams". Dass der Vorsitzende während seiner Grabrede so bitterlich weinte, verwundert: Eberstaller war illegaler Nationalsozialist und Meisl Jude. Handelte es sich um Krokodilstränen? Das sei nicht einfach zu beantworten, sagt Bernhard Hachleitner von der Universität für angewandte Kunst: "Es gibt im Wiener Sport der Zwischenkriegszeit seltsame Koalitionen, bei denen es heute schwerfällt, sie zu begreifen." Hachleitner und seine Kollegen versuchen es dennoch: Im Rahmen eines Projekts in Kooperation mit der Universität Wien erforschen sie die Geschichte der jüdischen Sportfunktionäre in Wien von 1918 bis 1939. Die vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierte Studie vereint zwei zentrale Aspekte der Stadtgeschichte dieser Epoche: Zum einen widmet sie sich der Wien wesentlich mitprägenden jüdischen Kultur. Zu dieser Zeit waren fast elf Prozent der Bevölkerung Juden – bis 1938 war die Stadt damit eine der größten jüdischen Gemeinden Europas. Zum anderen nimmt das Projekt einen weiteren historischen Sachverhalt in den Blick: In der Hauptstadt entwickelte sich seinerzeit der Sport zum Massenphänomen. Das erklärt Projektmitarbeiter Matthias Marschik vom Institut für Publizistik vor allem durch die politischen Erfolge der Arbeiterbewegung: "Das rote Wien schafft in den 1910er-Jahren die Voraussetzungen für diese Entwicklung. Vorher hatte der Großteil der arbeitenden Bevölkerung gar keine Zeit für Sport. Das änderte sich dann nach dem Krieg." Auf einmal schossen die Sportvereine wie Pilze aus dem Boden, und bei fast allen Clubs waren nach den Erkenntnissen der Forscher Juden als Funktionäre tätig. Das räumt mit einem populären Mythos im Wiener Sportgedächtnis auf, der eine jüdische Vergangenheit nur bei den Vereinen SC Hakoah und Austria Wien verortet. Das sei nicht haltbar, erklärt der ebenfalls an der Studie beteiligte Politologe Georg Spitaler vom Verein für Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung: "Die inzwischen klassische Wiener Erzählung von jüdischen und nichtjüdischen Vereinen ist in Wirklichkeit viel komplizierter." Spitaler hat bereits 2009 eine Studie zu Rapid Wiens Vergangenheit im Nationalsozialismus vorgelegt und war damals darauf gestoßen, dass auch in Hütteldorf mit Leo Deutsch und Hans Fischer zwei jüdische Präsidenten amtierten. Das geriet wie bei vielen Wiener Sportvereinen in Vergessenheit – zum einen, weil die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie diesen Teil der Vergangenheit buchstäblich fast auslöschte. Zum anderen war die Definition der jüdischen Existenz im Wien der Zwischenkriegszeit eine vieldiskutierte Frage. Assimiliert und vertuscht So sah sich ein assimiliertes jüdisches Bürgertum angesichts orthodoxer Kriegsflüchtlinge aus Osteuropa wieder mit der Frage nach der eigenen Identität konfrontiert – ebenfalls durch eine städtische Gesellschaft, in der sich der Antisemitismus virulent ausbreitete. Manche Funktionäre definierten sich selbst auch gar nicht als jüdisch oder verschwiegen ihre Herkunft. Das hielt häufig auch die andere Seite so. Das Judentum eines Funktionärs wurde meist in der Öffentlichkeit zur Sprache gebracht angesichts negativer oder lediglich als solcher empfundener Entwicklungen: Niederlagen, Clubpleiten oder die Einführung des Profifußballs. Übliche antisemitische Klischees etwa von jüdischer Gier wurden dann wieder ins Spiel gebracht. "Bodenständig" ist daher laut Spitaler in dieser Zeit auch als eine antisemitische Chiffre für "nichtjüdisch" zu verstehen. Sein Kollege Hachleitner verweist deshalb darauf, dass es bei dieser Thematik nötig sei, ganz genau hinzusehen: "Man muss sich sehr in diese Zeit einlassen, um zu verstehen, welche Begriffe benutzt wurden, um jüdische Zugehörigkeit nur zu thematisieren, oder was man wirklich antisemitisch gebraucht hat und so verstand." In einem bestimmten Kontext konnte auch schon eine freundliche Zuschreibung wie "fleißig" bereits ein vergiftetes Lob sein. Für ihre Untersuchung haben die Wissenschafter im Sinne einer Diskursanalyse neben persönlichen Dokumenten, Selbstbeschreibungen, behördlichen Dokumenten und Vereinschroniken auch die Sportberichterstattung dieser Zeit gesichtet. Dabei sind sie neben einem ebenso vielseitigen Bild der jüdischen Sportfunktionäre auch auf die Vorgehensweisen der Antisemiten gestoßen. Die nationalsozialistische Deutschösterreichische Tages-Zeitung druckte etwa in Hakoahs Meisterschaftsjahr 1925 lange Zeit keine Spielberichte über das Team und geiferte, als der Weg der Krieauer zum Titel nicht mehr zu ignorieren war, über eine angeblich unfaire Spielweise und einschüchternde jüdische Zuschauermassen. Aus dieser braunen Tinte wurde spätestens nach der Annexion 1938 bitterböser Ernst: Die Hakoah wurde nur einen Tag nach dem "Anschluss" aufgelöst. In kürzester Zeit wurden jüdische Sportler und Funktionäre aus Vereinen und Verbänden geworfen und verfolgt – was von den Sportgazetten gefeiert und von der Bevölkerung lautstark begrüßt wurde. Empörung erntete nur, wer sich an geliebten Insignien vergriff: Die Umbenennung der Austria in "SC Ostmark" wurde bereits im Juni 1938 wieder rückgängig gemacht. Um die einst blühende jüdische Sportlandschaft war es da bereits geschehen. (Johannes Lau, 18.3.2016) - derstandard.at/2000032967020-1317/Die-vergessenen-Juden-der-Wiener-SportclubsHistoriker räumen mit einem Mythos auf und beleuchten die komplizierten Spielregeln der ZwischenkriegszeitWien – ÖFB-Präsident Richard Eberstaller begann zu schluchzen: Am 19. Februar 1937 wurde auf dem Zentralfriedhof Hugo Meisl begraben, der legendäre Teamchef des "Wunderteams". Dass der Vorsitzende während seiner Grabrede so bitterlich weinte, verwundert: Eberstaller war illegaler Nationalsozialist und Meisl Jude. Handelte es sich um Krokodilstränen? Das sei nicht einfach zu beantworten, sagt Bernhard Hachleitner von der Universität für angewandte Kunst: "Es gibt im Wiener Sport der Zwischenkriegszeit seltsame Koalitionen, bei denen es heute schwerfällt, sie zu begreifen." Hachleitner und seine Kollegen versuchen es dennoch: Im Rahmen eines Projekts in Kooperation mit der Universität Wien erforschen sie die Geschichte der jüdischen Sportfunktionäre in Wien von 1918 bis 1939. Die vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierte Studie vereint zwei zentrale Aspekte der Stadtgeschichte dieser Epoche: Zum einen widmet sie sich der Wien wesentlich mitprägenden jüdischen Kultur. Zu dieser Zeit waren fast elf Prozent der Bevölkerung Juden – bis 1938 war die Stadt damit eine der größten jüdischen Gemeinden Europas. Zum anderen nimmt das Projekt einen weiteren historischen Sachverhalt in den Blick: In der Hauptstadt entwickelte sich seinerzeit der Sport zum Massenphänomen. - derstandard.at/2000032967020-1317/Die-vergessenen-Juden-der-Wiener-Sportclubs
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Historiker räumen mit einem Mythos auf und beleuchten die komplizierten Spielregeln der ZwischenkriegszeitWien – ÖFB-Präsident Richard Eberstaller begann zu schluchzen: Am 19. Februar 1937 wurde auf dem Zentralfriedhof Hugo Meisl begraben, der legendäre Teamchef des "Wunderteams". Dass der Vorsitzende während seiner Grabrede so bitterlich weinte, verwundert: Eberstaller war illegaler Nationalsozialist und Meisl Jude. Handelte es sich um Krokodilstränen? Das sei nicht einfach zu beantworten, sagt Bernhard Hachleitner von der Universität für angewandte Kunst: "Es gibt im Wiener Sport der Zwischenkriegszeit seltsame Koalitionen, bei denen es heute schwerfällt, sie zu begreifen." Hachleitner und seine Kollegen versuchen es dennoch: Im Rahmen eines Projekts in Kooperation mit der Universität Wien erforschen sie die Geschichte der jüdischen Sportfunktionäre in Wien von 1918 bis 1939. Die vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierte Studie vereint zwei zentrale Aspekte der Stadtgeschichte dieser Epoche: Zum einen widmet sie sich der Wien wesentlich mitprägenden jüdischen Kultur. Zu dieser Zeit waren fast elf Prozent der Bevölkerung Juden – bis 1938 war die Stadt damit eine der größten jüdischen Gemeinden Europas. Zum anderen nimmt das Projekt einen weiteren historischen Sachverhalt in den Blick: In der Hauptstadt entwickelte sich seinerzeit der Sport zum Massenphänomen. Das erklärt Projektmitarbeiter Matthias Marschik vom Institut für Publizistik vor allem durch die politischen Erfolge der Arbeiterbewegung: "Das rote Wien schafft in den 1910er-Jahren die Voraussetzungen für diese Entwicklung. Vorher hatte der Großteil der arbeitenden Bevölkerung gar keine Zeit für Sport. Das änderte sich dann nach dem Krieg." Auf einmal schossen die Sportvereine wie Pilze aus dem Boden, und bei fast allen Clubs waren nach den Erkenntnissen der Forscher Juden als Funktionäre tätig. Das räumt mit einem populären Mythos im Wiener Sportgedächtnis auf, der eine jüdische Vergangenheit nur bei den Vereinen SC Hakoah und Austria Wien verortet. Das sei nicht haltbar, erklärt der ebenfalls an der Studie beteiligte Politologe Georg Spitaler vom Verein für Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung: "Die inzwischen klassische Wiener Erzählung von jüdischen und nichtjüdischen Vereinen ist in Wirklichkeit viel komplizierter." Spitaler hat bereits 2009 eine Studie zu Rapid Wiens Vergangenheit im Nationalsozialismus vorgelegt und war damals darauf gestoßen, dass auch in Hütteldorf mit Leo Deutsch und Hans Fischer zwei jüdische Präsidenten amtierten. Das geriet wie bei vielen Wiener Sportvereinen in Vergessenheit – zum einen, weil die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie diesen Teil der Vergangenheit buchstäblich fast auslöschte. Zum anderen war die Definition der jüdischen Existenz im Wien der Zwischenkriegszeit eine vieldiskutierte Frage. Assimiliert und vertuscht So sah sich ein assimiliertes jüdisches Bürgertum angesichts orthodoxer Kriegsflüchtlinge aus Osteuropa wieder mit der Frage nach der eigenen Identität konfrontiert – ebenfalls durch eine städtische Gesellschaft, in der sich der Antisemitismus virulent ausbreitete. Manche Funktionäre definierten sich selbst auch gar nicht als jüdisch oder verschwiegen ihre Herkunft. Das hielt häufig auch die andere Seite so. Das Judentum eines Funktionärs wurde meist in der Öffentlichkeit zur Sprache gebracht angesichts negativer oder lediglich als solcher empfundener Entwicklungen: Niederlagen, Clubpleiten oder die Einführung des Profifußballs. Übliche antisemitische Klischees etwa von jüdischer Gier wurden dann wieder ins Spiel gebracht. "Bodenständig" ist daher laut Spitaler in dieser Zeit auch als eine antisemitische Chiffre für "nichtjüdisch" zu verstehen. Sein Kollege Hachleitner verweist deshalb darauf, dass es bei dieser Thematik nötig sei, ganz genau hinzusehen: "Man muss sich sehr in diese Zeit einlassen, um zu verstehen, welche Begriffe benutzt wurden, um jüdische Zugehörigkeit nur zu thematisieren, oder was man wirklich antisemitisch gebraucht hat und so verstand." In einem bestimmten Kontext konnte auch schon eine freundliche Zuschreibung wie "fleißig" bereits ein vergiftetes Lob sein. Für ihre Untersuchung haben die Wissenschafter im Sinne einer Diskursanalyse neben persönlichen Dokumenten, Selbstbeschreibungen, behördlichen Dokumenten und Vereinschroniken auch die Sportberichterstattung dieser Zeit gesichtet. Dabei sind sie neben einem ebenso vielseitigen Bild der jüdischen Sportfunktionäre auch auf die Vorgehensweisen der Antisemiten gestoßen. Die nationalsozialistische Deutschösterreichische Tages-Zeitung druckte etwa in Hakoahs Meisterschaftsjahr 1925 lange Zeit keine Spielberichte über das Team und geiferte, als der Weg der Krieauer zum Titel nicht mehr zu ignorieren war, über eine angeblich unfaire Spielweise und einschüchternde jüdische Zuschauermassen. Aus dieser braunen Tinte wurde spätestens nach der Annexion 1938 bitterböser Ernst: Die Hakoah wurde nur einen Tag nach dem "Anschluss" aufgelöst. In kürzester Zeit wurden jüdische Sportler und Funktionäre aus Vereinen und Verbänden geworfen und verfolgt – was von den Sportgazetten gefeiert und von der Bevölkerung lautstark begrüßt wurde. Empörung erntete nur, wer sich an geliebten Insignien vergriff: Die Umbenennung der Austria in "SC Ostmark" wurde bereits im Juni 1938 wieder rückgängig gemacht. Um die einst blühende jüdische Sportlandschaft war es da bereits geschehen. (Johannes Lau, 18.3.2016) - derstandard.at/2000032967020-1317/Die-vergessenen-Juden-der-Wiener-Sportclubs