Abgang nach herber Kritik
Die Entscheidung sei auch mit Blick auf anstehende Großveranstaltungen erfolgt. Das teilte Jäger am Freitag in Düsseldorf mit. Er habe Albers diese Entscheidung in einem persönlichen Gespräch mitgeteilt. Dieser habe dafür „großes Verständnis aufgebracht“.
Die Polizei habe nun die Aufgabe, die Vorfälle in der Silvesternacht vollständig aufzuarbeiten „und die notwendigen Konsequenzen zu ziehen“, betonte Jäger in der Mitteilung. „Die Menschen wollen zu Recht wissen, was in dieser Silvesternacht passiert ist, wer die Täter sind und wie solche Vorfälle zukünftig verhindert werden können.“ Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) plädierte für eine rückhaltlose Aufklärung der Vorfälle aus der Silvesternacht, SPD-Chef Sigmar Gabriel will wie die Union gesetzliche Konsequenzen prüfen.
Albers zeigt Verständnis
Die öffentliche Debatte über ihn und sein Verhalten nach den chaotischen Szenen könne die Arbeit der Polizei erschweren und verzögern. „Deshalb verstehe ich die heutige Entscheidung von NRW-Innenminister Ralf Jäger“, heißt es in einer am Freitag veröffentlichten Stellungnahme Albers’. „Es geht darum, verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen.“
Der 60-Jährige stärkte seinen Polizisten den Rücken: „Ich akzeptiere es, dass in der aktuellen Diskussion die Polizeiführung und damit auch zuallererst meine Person ins Zentrum der Kritik geraten sind“, sagte er. „Aber die Polizistinnen und Polizisten, die in der Silvesternacht rund um den Kölner Hauptbahnhof im Dienst waren, haben diese Kritik nicht verdient.“
Reker distanziert sich von Albers
Jäger zieht mit dem Schritt nach zahlreichen Rücktrittsforderungen an Albers die Notbremse. In den vergangenen Tagen waren die Polizeiführung und Albers wegen der Einsatzplanung und Kommunikationsstrategie nach den Übergriffen in die Kritik geraten. Trotz massiven Gegenwinds versicherte Albers noch am Mittwoch, er werde auf jeden Fall Polizeipräsident bleiben. „Gerade jetzt bin ich, glaube ich, hier gefragt“, sagte er.
Auch Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker hatte sich im Vorfeld von Albers distanziert. Die ihr von der Polizeiführung geschilderten Fakten gäben nicht das vollständige Bild der Einsatznacht wieder, hieß es in einer am Freitag veröffentlichten Stellungnahme der Parteilosen. „Insofern ist mit meinem heutigen Kenntnisstand das Vertrauensverhältnis zur Kölner Polizeiführung erheblich erschüttert.“
Die veröffentlichten internen Berichte zeigten, dass die Polizei bereits seit Tagen ein wesentlich differenzierteres Bild zur Lage am Silvesterabend und zur Herkunft möglicher Tatverdächtiger habe, als bisher vermittelt worden sei, sagte Reker. „Dass ich diese Informationen, insbesondere zur Herkunft von ermittelten Beteiligten aus der Gruppe der Täter, erst aus den heutigen Medien entnehmen kann, kann ich als Oberbürgermeisterin dieser Stadt nicht akzeptieren.“ Reker hatte am Montag, drei Tage nach den Ausschreitungen, vor Journalisten gesagt, die Behörden hätten keine Hinweise darauf, dass es sich bei den Beteiligten um Flüchtlinge handle.
Ungereimtheiten und Widersprüche
Der Kölner Polizei und Albers werden ihre gescheiterte Informationspolitik und die offenkundigen Ungereimtheiten zu den Ereignissen zunehmend zum Verhängnis. Die Exekutive muss sich des Vorwurfs erwehren, Informationen über die Ereignisse tagelang unter Verschluss gehalten zu haben. Kurz nach Silvester habe man noch von einer „friedlichen Nacht“ gesprochen, obwohl unter anderem aus einem nun öffentlich geworden Einsatzprotokoll hervorgeht, dass die Verantwortlichen Ausmaß und Dramatik der Lage in der Kölner Silvesternacht frühzeitig gekannt haben müssen.
Albers: Verschleierung von Herkunft „abstrus“
Die Polizei muss sich außerdem den Vorwurf gefallen lassen, man habe nach den Übergriffen die Herkunft der Verdächtigen verschwiegen. Albers verwehrte sich am Freitag gegen diesen Vorwurf. Er habe mehrfach öffentlich betont, dass es während des Einsatzes Personenkontrollen gegeben habe, teilte er mit.
„Ich habe immer wieder verdeutlicht, dass sich viele der von diesen Maßnahmen Betroffenen mit vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ausgestellten Dokumenten auswiesen“, so Albers. Gleichzeitig habe er stets darauf hingewiesen, dass die kontrollierten Männer nicht zwangsläufig auch zu den Tätern gehörten. „Mir vorzuwerfen, dass ich die Herkunft von Tatverdächtigen verschleiert hätte, ist daher vollkommen abstrus.“
Landespolizei bot Verstärkung
Zu allem Überfluss wurde am Freitag bekannt, dass die Polizei trotz großer Überforderung und chaotischer Lage an Ort und Stelle ein Angebot für Verstärkung ausgeschlagen habe. Die Landespolizei hatte den Einsatzverantwortlichen der Kölner Silvesternacht nach eigener Darstellung weitere Verstärkung angeboten. Das sei aber in Köln abgelehnt worden, sagte ein Sprecher des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW (LZPD) am Freitag in Duisburg.
Er bestätigte damit Informationen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“). Nach Darstellung des LZPD-Sprechers hätten drei auf verschiedene Standorte verteilte Züge einer Einsatzhundertschaft zeitnah nach Köln geführt werden können. Die Leitstelle in Duisburg sei mit Kölner Verantwortlichen in ständigem Kontakt gestanden. Von der Polizei war dazu zunächst keine Stellungnahme zu erhalten. Zuvor hatte das Landesamt Vorwürfe als falsch zurückgewiesen, wonach sie der Kölner Polizei im Vorfeld eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei für die Silvesternacht verweigert habe.
Gewerkschaften empört
Kritik kam auch aus den eigenen Reihen. Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, machte Albers wegen der Informationspolitik zu den Übergriffen schwere Vorhaltungen. Albers habe ein Kommunikationsdesaster angerichtet, sagte Wendt am Freitag der dpa. „Die Leute wollen wissen, was da los war.“ Die Bevölkerung habe auch ein Anrecht darauf, zu erfahren, was stattgefunden habe. Wendt kritisierte, dass die Kölner Polizei die Schotten dicht mache, während von anderen Seiten widersprüchliche Informationen auftauchten: „So kann die Polizei keine Öffentlichkeitsarbeit machen.“
Auch die größere Gewerkschaft der Polizei (GdP) zeigte sich empört. „Warum zum Beispiel nicht gesagt wurde, dass es in der Silvesternacht Ingewahrsamnahmen gab, verstehe ich nicht. Diese Zurückhaltung ist auch der Grund dafür, dass von Kollegen jetzt Berichte über den Einsatz durchgestochen werden“, sagte der nordrhein-westfälische GdP-Landesvorsitzende Arnold Plickert der dpa am Freitag.
„Die Kollegen sind total sauer, weil sie jetzt in der Ecke stehen. Die haben vor Ort alles gemacht, was möglich war - und jetzt fühlen sich viele von ihnen fast, als seien sie die Täter.“ Nach der Kritik von Innenminister Thomas de Maizere (CDU) vermissten sie Rückendeckung. De Maizere hatte mit Blick auf die Übergriffe in Köln in den ARD-„Tagesthemen“ gesagt: „Da wird der Platz geräumt - und später finden diese Ereignisse statt, und man wartet auf Anzeigen. So kann die Polizei nicht arbeiten.“
Zwei Verdächtige wieder auf freiem Fuß
Nach Angaben des deutschen Innenministeriums waren der Bundespolizei bis Freitagabend 32 Verdächtige namentlich bekannt. 22 der mutmaßlichen Täter seien Asylwerber. Unter den Verdächtigen seien neun Algerier, acht Marokkaner, fünf Iraner, vier Syrer, ein Iraker, ein Serbe, ein Amerikaner und drei Deutsche. Ihnen würden hauptsächlich Diebstähle und Körperverletzungen vorgeworfen. Es handelt sich aber nur um diejenigen Fälle, die in die Zuständigkeit der Bundespolizei fielen. Die Kölner Polizei ermittelt zudem gegen mehr als 20 mutmaßliche Täter.
Bis zum Freitag seien rund 170 Anzeigen erstattet worden, drei Viertel davon hätten einen sexuellen Hintergrund. Außerdem lägen 350 Stunden Videomaterial über die massiven Ausschreitungen auf dem Bahnhofsvorplatz vor, sagte ein Polizeisprecher der dpa. Etwa 250 verschiedene Daten müssten ausgewertet werden. Die bisher 80-köpfige Ermittlungsgruppe „Neujahr“ wurde auf 100 Beamte aufgestockt. In Hamburg gingen seit der Silvesternacht bei der Polizei innerhalb einer Woche 108 Strafanzeigen wegen sexueller Übergriffe auf Frauen ein.
Zwei am Freitag wegen der Übergriffe in der Kölner Silvesternacht festgenommene Männer sind wieder auf freiem Fuß. Der Tatverdacht gegen die beiden habe sich nicht erhärtet, sagte Staatsanwalt Benedikt Kortz. Bei den Männern sollen nach Polizeiangaben Handys mit Videos von Übergriffen sichergestellt worden sein.
De Maiziere warnt vor „Schweigespirale“
De Maiziere warnte vor einer Selbstzensur der Polizei bei Angriffen durch Migranten. „Ein Generalverdacht ist genauso wenig der richtige Weg wie das Tabuisieren der Herkunft von Kriminalität“, sagte der CDU-Politiker der „FAZ“ (Samstag-Ausgabe) laut Vorabbericht. „Es darf keine Schweigespirale geben, schon gar nicht darf sie von der Polizei ausgehen.“ Wenn Täter einen Migrations- oder Fluchthintergrund hätten, dürfe das nicht verschwiegen werden. De Maiziere warnte, das Verschweigen der Herkunft fördere rechtsradikale und ausländerfeindliche Strömungen: „Das wäre im Ergebnis nur Wasser auf die Mühlen all derjenigen, die Politik und Medien bewusste Verzerrung vorwerfen.“