Amokfahrt durch Grazer Innenstadt
20. Juni 2015, 15:21
Drei Tote – Lenker des Fahrzeugs wurde bereits festgenommen
Graz – Der ramponierte grüne Geländewagen steht wie ein Geisterfahrzeug vor dem Polizeiwachzimmer in der Schmiedgasse. An der Beifahrerseite hängt ein leichter weißgrauer Damenschal, unter dem Auto baumelt ein Turnschuh. Ein Scheinwerfer leuchtet noch hinter dem zerquetschten Blech heraus. Wo der Wagen steht, ist es still, die Straße am Anfang und Ende abgesperrt. Es ist kurz nach halb zwei am Samstagnachmittag und ein Beamter warnt den STANDARD und einen Kollegen vom ORF, nicht zu nahe ran zu gehen. "Wir wissen noch nicht, was da sonst drinnen ist."
Die Parallelstraße der Schmiedgasse ist die wichtigste Einkaufsstraße mit Fußgängerzone der Stadt: Die Herrengasse. Hier spielte sich nur eineinhalb Stunden zuvor die Hölle ab. Der Fahrer des Geländewagens raste mit rund 100 kmh die Straße, die den Jakominiplatz und den Hauptplatz verbindet hinunter – offenbar auf der Jagd nach Fußgängern. Die Straße war voll, es war ein sonniger Samstag, viele Menschen saßen in den Straßencafés. Drei Tote sind bisher laut dem steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer bestätigt. Ein Todesopfer ist ein kleiner Bub. 34 Menschen sind verletzt, davon ringen einige noch mit den Tod.
Der Grazer Bürgermeister, Siegfried Nagl, war selbst auf seiner Vespa in der Altstadt unterwegs und beobachtete, wie der Fahrer absichtlich eine Frau niederfuhr. Mittlerweile kursieren Zahlen von über 50 Verletzten – der Mann dürfte schon am Kaiser Josef Platz losgerast sein. Der Lenker hatte allerdings schon zuvor auf seiner Fahrt mehrere Fußgänger niedergestoßen. Da Rettungskräfte zu diesem Zeitpunkt schon in der ganzen Innenstadt im Einsatz waren, blieb der Schwerverletzte am Markt vorerst nur notdürftig versorgt.
In den selben Minuten, einige hundert Meter entfernt, landete ein Rettungshubschrauber am Rasen vor der Grazer Oper. In der Nähe des Operncafes hatte der Amokfahrer ebenfalls Passanten mit seinem Auto attackiert. Der Mann fuhr anschließend mit seinem Geländewagen in die Hamerlinggasse und weiter in die Herrengasse.
In der Innenstadt bot sich ein Bild wie nach einem Anschlag, der Hauptplatz und die Herrengasse wurden großräumig abgesperrt, weinende Menschen lehnten den Hauswänden, auf der Straße lag ein zerbeultes Kinderfahrrad.
"Ich war gerade in der Apotheke in der Herrengasse Ecke Stempfergasse, berichtet die Kunstgeschichtestudentin Joana T. dem STANDARD, "plötzlich habe ich nur mehr Schreie gehört, wir sind hinausgelaufen und haben Menschen herum liegen sehen, der Wagen ist Richtung Hauptplatz weitergerast". Auf Höhe Murgasse soll der Wagen dann laut einer Augenzeugin der APA ins Schleudern gekommen sein.
Als das Auto stehen blieb, sprang der Mann heraus und soll laut Zeugen noch Menschen mit einem Messer attackiert haben, bevor er überwältigt werden konnte. Andere Passanten wollen von der Messerattacke aber nichts gesehen haben.
In den beiden Stunden danach wurde es immer ruhiger in der Herrengasse. Nur die Sirenen von Polizeiautos und Krankenwagen verstummten nicht. Und überall stehen betroffene Menschen. Schweigend oder weinend oder sie erzählen sich leise, was sie gehört oder gesehen haben.
Als der STANDARD in den abgesperrten Bereich der Herrengasse kommt, ist sie abgesehen von Beamten und Medienleuten menschenleer. Nur vor der Stadtpfarrkirche fällt ein weißer Sonnenschirm auf, dann ein zweiter einige Meter weiter Richtung Hauptplatz. Unter ihnen liegen mit weißen Tüchern zugedeckt Körper. Das Handynetz brach zwischenzeitlich zusammen, Innenstadtbewohner riefen sorgenvoll Verwandte, Bekannte und Freunde an.
Krisenstab eingerichtet
"Wir sind alle gefordert, das Miteinander zu suchen und Gräben nicht aufzubauen, so der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer in einer Pressekonferenz am Samstagnachmittag. Sein Stellvertreter Michael Schickhofer (SPÖ) sagte: "Es tut unendlich weh, für mich als Familienvater nicht zu fassen, was hier passiert ist. Es wurde alles getan, um die Verletzten sofort zu versorgen." Die Versorgungskette habe funktioniert, 50 Rettungswägen, 16 Notärzte, Ärzte, die als Passanten unterwegs waren, halfen sofort. Die Kriseninterventionsteams waren und sind im Einsatz.
Der neue Bischof der Diözese Graz-Seckau, Wilhelm Krautwaschl, habt ebenfalls bereits reagiert. "Wir können für das keine Worte finden, was heute in der Innenstadt von Graz passiert ist. Stehen wir auch in diesen schweren Stunden zusammen. Unsere Gedanken und Gebete gelten jenen, die von diesem Anschlag betroffen sind und jenen, die helfend vor Ort sind", sagte er in einer ersten Stellungnahme.
http://derstandard.at/2000017769927/Autofahrer-verletzt-drei-Personen-bei-Fahrt-in-Grazer-Fussgaengerzone
Was wir bisher wissen:
- Ein Geländewagen ist am Samstag in die Grazer Innenstadt gerast, der Fahrer ist wahllos gegen Passanten gefahren.
- Drei Tote, insgesamt 34 Verletzte, 10 davon schwer. Unter den Toten ist ein Kind.
- Wie ein Sprecher der Polizei dem STANDARD bestätigte, ist der Lenker des Fahrzeugs festgenommen worden.
- Hintergrund der Tat laut Polizei "Psychose mit Ausgang im Familienleben".
Der Stadtpolizeikommandant Kurt Kemeter sagte der "Kleinen Zeitung", dass der Amoklenker aus dem Auto ausstieg und Passanten mit einem Messer attackierte, ehe er von der Polizei festgenommen wurde.