Der Präsident des Weltfußballverbands kann abtreten, weglaufen kann er aber nicht mehr
"Der alte Kaiser steht im Garten und wirft Schatten. So überflutet ihn der Mond. Der Kaiser träumt: In die vergoldeten Paläste strömten Ratten, und in den Sälen seien wilde Pferde aufgezäumt."
Mag sein, Joseph S. Blatter kennt sogar Konstantin Weckers 1977 veröffentlichtes Lied vom Herrscher, der seinen Untertanen "viel zu viel von ihrem Leben genommen" hat und sein unweigerliches Ende endlich akzeptiert. Blatter war damals gerade zwei Jahre im Weltfußballverband Fifa beschäftigt. Jetzt soll innerhalb weniger Monate, nach Einberufung eines außerordentlichen Kongresses, auf dem ein Nachfolger gewählt werden kann, Schluss sein. Nach etwas mehr als 17 Jahren, in denen Blatter die Weltregierung der populärsten aller Sportarten geführt hat – viel mehr mit Zuckerbrot als mit Peitsche, bis hin zur Überzuckerung. Die späte, viel zu späte Einsicht des Präsidenten in die Unhaltbarkeit der unter ihm eingerissenen Zustände könnte, wenn ehrlich gemeint, gewürdigt werden.
Die am Dienstagabend vom Schweizer eilig einberufene und nach einigen wenigen, leicht wehleidigen Sätzen eilig wieder beendete Pressekonferenz auf dem Zürichberg lässt allerdings auch andere Schlüsse zu. Kann sein, dem 79-Jährigen sind die Einschläge inzwischen zu nahe gekommen, die Einschläge, die Günstlinge wie die vor einer Woche im Vorfeld des 65. Fifa-Kongresses festgenommenen Vizepräsidenten trafen. Mit den Aktivitäten der US-Behörden und dem – ebenfalls reichlich späten – Engagement der Schweizer Kollegen bekamen Blatters Zores eine neu, ganz andere Qualität. Und dann geriet auch noch der engste Vertraute des "Alten Kaisers", Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke, in den Ruch, in den jüngst aufgebrochenen Korruptionsskandal in irgendeiner Art involviert zu sein.
Es gilt noch immer die Unschuldsvermutung, aber die Schlagzeilen, das weiß der alte Marektingfuchs Blatter, werden diesmal nicht so einfach aufhören, werden sich nicht in lobenswerten, aber konsequenzenlosen Dokumentationen, Artikeln und Büchern erschöpfen. Dafür haben sich jene, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, sein Regime ein für alle Mal zu beenden, schon zu sehr exponiert. Dafür ist die Zukunftsangst der ihrer Auslieferung oder genaueren Untersuchung harrenden Nutznießer des Systems Blatter zu groß. Und im Vorfeld aufgelegt skandalöser Veranstaltungen wie der Weltmeisterschaften in Russland (2018), vor allem aber in Katar (2022), wo dem Vernehmen nach Monat für Monat im Schnitt 45 meist nepalesische Arbeiter den jeder Beschreibung spottenden Zuständen auf WM-Baustellen zum Opfer fallen, ist von einer Beruhigung ohnehin keine Rede.
Blatters Lebenswerk und je nach Blickwinkel Verdienst oder Vergehen – der Umbau der Fifa von einer kleinen Interessenvertretung in einen milliardenschweren Konzern, die Verbreitung des Fußballs auch noch in die letzte Weltecke, die Schaffung einer Art Ersatzreligion – ist irreparabel.
"Was mir mehr als alles andere bedeutet, ist, dass, wenn alles vorbei ist, der Fußball der Gewinner ist", sagte Blatter am Dienstag. Das hätte er früher und fast schmerzlos haben können – Ehrenpräsidentenamt inklusive. Ein sanftes Hinübergleiten in den Ruhestand ist für den "Alten Kaiser" jetzt nur noch schwer vorstellbar.
"Er lässt die Arme fallen, die viel zu zarten, und wittert und ergibt sich der Gefahr." (Sigi Lützow, 2.6.2015)