Patty Hearst:
Wie eine Millionenerbin zur „Stadtguerilla" wurde
Patricia Hearst / Bild: (c) imago stock&people (imago stock&people)
Vor 40 Jahren wurde die damals 19-jährige Patty Hearst entführt. Monate später stand sie selbst auf der „Most-wanted-Liste" des FBI.
(DiePresse.com)
Als „ganz gewöhnliche Kriminelle" bezeichnete die US-Regierung einst Patricia Hearst. Doch an der Geschichte der Millionärstochter ist nichts Gewöhnliches. Mit ihrer Entführung vor 40 Jahren begann einer der bekanntesten Kriminalfälle in der Geschichte der USA.
Am 2. Februar 1974 stürmt eine Gruppe Bewaffneter eine Wohnung im kalifornischen Berkeley. Sie schlagen den Verlobten der Studentin Patricia Hearst nieder und zerren die 19-Jährige in ihren Wagen.
„Patty" Hearst entstammt einer vermögenden und einflussreichen Familie. Ihr Großvater ist der Medien-Tycoon William Randolph Hearst, der Orson Welles als Vorlage für seinen „Citizen Kane" diente. Die Kidnapper wollen aber nicht einfach nur Geld. Sie bezeichnen sich selbst als „Symbionese Liberation Army", kurz SLA, und haben sich den Kampf gegen den „kapitalistischen Staat" auf die Fahnen geheftet. Die SLA wird von dem entflohenen Kriminellen Donald DeFreeze angeführt, ihm haben sich sieben junge Männer und Frauen aus der Mittelschicht angeschlossen. Zwei Attentate mit einem Toten und einem Schwerverletzten hat die Gruppe vor Hearsts Entführung bereits begangen.
Nach der Entführung Hearsts fordert die SLA die Freilassung von zweien ihrer Mitglieder, die wegen Mordes in Haft sitzen. Als die Behörden ablehnen, fordert die Gruppe von Hearsts Eltern Millionen für die Armen. Die Familie spendet Nahrungsmittel im Wert von sieben Millionen Dollar, die Verhandlungen brechen dennoch ab.
Aus Patty wird "Tania"
Einen Monat nach Hearsts Entführung erhält die Polizei ein Tonband, auf dem Hearst erklärt, die Gruppe habe ihr angeboten zu gehen oder sich ihr anzuschließen. Sie habe sich entschlossen, „zu bleiben und zu kämpfen" und trage nun den Namen „Tania". Am 16. Mai überfallen Mitglieder der SLA eine Bank in San Francisco und erschießen dabei zwei Menschen. Auf den Bildern der Überwachungskamera ist auch Hearst zu sehen, die mit einem Gewehr in der Hand in der Bank steht.
Im Mai 1974 umstellt die Polizei ein Gebäude in Los Angeles, in dem sich der Großteil der SLA-Mitglieder aufhält. Das Fernsehen überträgt die Schießerei, bei der schließlich Anführer DeFreeze und weitere fünf Verdächtige getötet werden, live im Fernsehen. Hearst, mittlerweile auf der „Most-wanted-Liste" des FBI, befindet sich jedoch nicht in dem Gebäude. Erst im September 1975 wird sie in San Francisco aufgespürt und festgenommen. Als sie bei der erkennungsdienstlichen Behandlung nach ihrem Beruf gefragt wird, antwortet Hearst: „Stadtguerilla".
Anklage: "Rebellin" und "Königin"
Die Millionenerbin wird wegen des Banküberfalls in San Francisco angeklagt, die Medien rufen den „Prozess des Jahrhunderts" aus. Hearst berichtet vor Gericht über ihre Gefangenschaft: Die SLA sperrte sie 57 Tage mit verbundenen Augen in einen engen Schrank, sie wurde vergewaltigt, geschlagen und beschimpft. Unter Zwang habe sie die Erklärung, sich der Gruppe angeschlossen zu haben, verlesen und die Kriminellen zu dem Banküberfall begleitet. Die Verteidigung argumentiert vor Gericht, Hearst habe aus Angst und in Folge einer Gehirnwäsche gehandelt. Die psychiatrischen Gutachter der Verteidigung bestätigen diese Sicht, während jene der Anklage Hearst als „Rebellin" und „Königin der SLA" bezeichnen.
Die Jury glaubt an die zweite Version: Hearst wird zu sieben Jahren Haft verurteilt. 1979 erlässt US-Präsident Jimmy Carter ihr nach insgesamt 22 Monaten im Gefängnis die Strafe. Sein Nachfolger Bill Clinton begnadigt Hearst 2001.
Patricia Hearst mit ihrem Ehemann Bernhard Shaw (gest. 2013) / Bild: (c) imago stock&people (imago stock&people)
Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis heiratet Hearst ihren Bodyguard, das Paar bekommt zwei Kinder. Sie schreibt einen Kriminalroman und spielt in einigen Filmen Nebenrollen. Nur selten spricht die heute 59-Jährige in der Öffentlichkeit über ihren Fall. „Ich hatte keinen freien Willen", sagte sie vor mehreren Jahren in einem Interview mit Larry King über ihre Zeit bei der SLA.
Der Geschichtsprofessor William Graebner schreibt in seinem Buch „Patty's got a gun", Hearsts Verurteilung spiegele die damalige Zeit wieder: „In dieser Geschichte ging es letztendlich weniger um Patty als um das, wie die Amerikaner sich selbst sehen wollten - dass sie ein belastbares Volk sind mit einem freien Willen (...) und sogar, anders als Patricia Hearst, zu Heldentum fähig".
(kron)
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