Samstag, 14. Dezember 2013

Klingelingeling, Klingelingeling, jetzt kommt der Eiermann.....

Bis zu 5.000 am Schulstreik gegen die Zentralmatura in Wien - Eier auf das Bundeskanzleramt

Das Bundeskanzleramt nach seiner "Schändung"Am Donnerstag, den 12. Dezember 2013, fanden in mehreren Städten Österreichs Großdemonstrationen von SchülerInnen gegen die Zentralmatura, insbesondere die darin enthaltenen verschärften Beurteilungskriterien, statt. In Wien versammelten sich ab 9 Uhr bis zu 5.000 vor dem Parlament am Ring und zogen schließlich bis 11 Uhr via Schottentor, Herrengasse und Minoritenplatz zum Ballhausplatz. Viele der TeilnehmerInnen stießen erst im Verlauf der Demonstration dazu, viele waren auch aus dem Wiener Umland angereist.
Die Demonstration ergab ein lautstarkes, enthusiastisches und (fast) bis zum Schluss friedliches Erscheinungsbild. Erst, als die Polizei am Ballhausplatz die (schwer verständliche) Auflösung der Versammlung durchsagte und immer mehr BeamtInnen mit Helmen und Schutzschildern vor dem Bundeskanzleramt Stellung bezogen, begann die Lage allmählich zu eskalieren. Motivation für das vorzeitige auflösen der Demo waren möglicherweise die im Inneren das Bundeskanzleramtes stattfindenden Regierungsverhandlungen - das Bundeskanzleramt befand sich durch die Menge der Demonstrations-TeilnehmerInnen über eine Stunde lang im Belagerungszustand.
die SchülerInnen-Demo in Linz
Eiertanz um die Zentralmatura und der "abgesagte" Streik der Schülerunion
... der Ballhausplatz füllt sichBereits letzten Freitag, vor dem angeblichen "Verhandlungserfolg" der (ÖVP-nahen) Schülerunion mit dem BIFI (Bildungsforschungsinstitut) über Änderungen an der ursprünglich für 2014 vorgesehenen neuen Zentralmatura, demonstrierten nach Aufruf von "Red Revolution" rund 150 SchülerInnen am Wiener Stephansplatz. Nach dem angeblichen "Kompromiss" bei der Verhandlung zur Zentralmatura sagte die Schülerunion den für 12.12. angedrohten Streik ab. Andere SchülerInnen-Organisationen wie die (SPÖ-nahe) AKS - Aktion Kritischer Schüler sowie weitere sozialistische und linke Gruppen riefen aber weiterhin zum Schulstreik am 12.12. auf, eine dafür eingerichtete Facebook-der Ballhausplatz füllt sich ...Veranstaltungsseite - außerhalb des Einflussbereichs der Schülerunion - erreichte bis zum 12.12. rund 4.000 "Zusagen" - und tatsächlich waren etwa 4.000 bis 5.000 SchülerInnen vor Ort - Gruppen von SchülerInnen stießen noch bis Mittag dazu, es herrschte ein reges kommen und gehen. Abernicht nur in Wien wurde demonstriert. In Salzburg gingen etwa 1.500 SchülerInnen gegen die Zentralmatura auf die Straße, in Linz 3.000 (Polizei) bis 12.000 (Veranstalter), 1.500 bis 2.500 in Dornbirn und rund 300 in Klagenfurt.
Kurz vor dem Streiktag schickte der Wiener Stadtschulrat noch eine Rund-Mail aus, in der SchülerInnen dezidiert untersagt wurde, am Streik teilzunehmen, da das Streikrecht nur "Dienstnehmern" zusteht. Daher wurde am Demonstrationstag von der AKS auch die Forderung nach einem Streikrecht für SchülerInnen erhoben.
Eiertanz vor dem Bundeskanzleramt
Die Demonstration, die schon bald so groß war, dass der Ring vor dem Parlament blockiert wurde, zog via Schottentor durch die Innenstadt zum Bundeskanzleramt am Ballhausplatz. Kurz vor 11 Uhr erreichte die Spitze des bis zu 5.000 Personen zählenden Umzugs das Ziel. Der Platz füllt sich, ein Typ mit einer Kamera-Drohne, die mit I-Pad ferngesteuert wird, sorgt für Aufsehen. Vor dem Bundeskanzleramt ertönen lautstarke Parolen wie "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut" oder "Schulstreik! Schulstreik! Schulstreik!".
Die Menge steht dicht gedrängt vor den verschlossenen Toren des Bundeskanzleramtes, dazwischen ein halbes Dutzend PolizistInnen mit Schutzschildern. Die überdrehte Stimmung scheint irgendwie dazu geführt zu haben, dass allmählich damit begonnen wurde, Gegenstände auf das verhasste Symbol der Bildungs- und Regierungspolitik zu schmeißen. Als eine Bananenschale eine Polizeibeamtin toupiert, werden die Helme aufgesetzt. Und irgendwie scheint sich die Lage, ohne großes zutun von irgendeiner Seite, nach und nach aufzuschaukeln. Um 11:14 Uhr wird schließlich von ersten Eier-Würfen auf das Kanzleramt getwittert. Eine junge Frau mit Megaphon, versucht offenbar (wie im folgenden Video sichtbar) verzweifelt die Menge aufzufordern, nichts zu schmeißen - doch selbst im Video, unmittelbar vor der Kamera stehend, ist sie nicht zu verstehen.
Eier gehen auf das Bundeskanzleramt nieder
die Polizei errichtet einen Sicherheitskordon vor dem Bundeskanzleramtdie Polizei errichtet einen Sicherheitskordon vor dem Bundeskanzleramt
am Boden offenbaren sich bisher versteckte Botschaften ...

Sprayerei am Ballhausplatz
Außerdem fliegen immer wieder (halb bis ganz gefüllte) Plastikflaschen und auch ein Paar Schuhe Richtung Kanzleramt. Die Polizei zieht einen halbkreisförmigen Sicherheitskordon vor dem Eingangsportal auf - und erreicht dadurch, dass immer mehr Wurfgeschosse Richtung Fassade des Gebäudes fliegen: Feuerzeuge, Handschuhe, Cent-Münzen, ja scheinbar alles, was man grad so in den Hosen- und Jackentaschen finden konnte. Auch ein paar Holzstangen (von den Taferln) flogen schließlich noch gegen die Fassade des BKAs, das am Ende ziemlich mitgenommen aussah.
das Bundeskanzleramt nach der Räumung des Ballhausplatzes gegen 11:30 Uhr

auch "Das Parfüm" - nicht irgendeines - musste als Wurfgegenstand herhalten

Um etwa 11:30 Uhr wird zum zweiten Mal die Versammlungsauflösung durchgesagt, viele verlassen den Ballhausplatz, aber es sind immer noch etwa 1.000 bis 2.000 vor Ort. Bis 11:45 Uhr herrscht dann eher gespanntes Warten auf die Reaktion der Polizei, der Wurfgeschosshagel hat bereits etwas nachgelassen.
Willkürliches Anzeigen-austeilen
Allmählich bezieht die Hundestaffel Aufstellung und die sich immer weiter zerstreuende Menge vor dem Bundeskanzleramt wird allmählich auch aktiv von Polizisten zum gehen aufgefordert - vereinzelt werden Personalien aufgenommen. Anzeigen wegen "missbräuchlicher Verwendung der Straßenfläche" (Zitat: Polizeibeamter auf Anfrage) werden ausgestellt - schließlich wurde die dereinst (bis 13 Uhr!) angemeldete Versammlung bereits irgendwann vor 11:30 zum ersten Mal für aufgelöst erklärt.
Dieser Umstand wurde dann auch mir zum Verhängnis. Als sich der Platz bereits weitgehend geleert hatte - von vereinzelten SchülerInnengruppen und Presseangehörigen abgesehen - und ich auf meinen Redaktionskollegen Daniel wartete, der sich gemeinsam mit anderen Journalisten noch hinter der Polizeiabsperrung befand, kamen zwei Polizeibeamte zielstrebig auf die Menschengruppe, in der ich gerade stand (ein ATV-Kamerateam das SchülerInnen interviewte), zu.
Während die übrigen anwesenden Personen zum Gehen aufgefordert und weggedrängt wurden, wurde mir diese Gelegenheit jedoch verweigert. Als ich versuchte, wegzugehen, meinte der eine Beamte zum anderen etwas in der Art wie "der nicht", woraufhin dieser mich am Arm festhielt. Ich erwiderte sofort, dass ich von der Presse bin und gerne der Aufforderung zum gehen nachkommen würde. Ich wurde aber stattdessen aufgefordert, mitzukommen, um mich einer "Identitäts-Feststellung" zu unterziehen.
Warum sie denn überhaupt eine I-Feststellung von mir benötigen würden? Sowas müsse doch schließlich einen Grund haben! - Auf mehrmalige Nachfrage wurde mir schließlich mitgeteilt, ich hätte nach § 2 Versammlungsgesetz "den Versammlungsort entgegen der Aufforderung nicht verlassen" (Zitat Polizist vor Ort) und die Rechtsgrundlage für meine Personalien-Feststellung § 35 Sicherheitspolizeigesetz (SPG). Ich wiederholte erneut, dass ich Journalist sei und sie mich nicht einfach mit fadenscheinigen Gründen festhalten können. Doch, können sie. Recht viel mehr bekam ich dann nicht mehr zu hören.
Meine vorübergehende Festnahme - oder: wie ich zum "Frosch-König" wurde
Mein Kollege und umstehende JournalistInnen und FotografInnen wurden auf die Situation aufmerksam und beobachteten die Amtshandlung genau. Nach ein paar Minuten kam schließlich ein weiterer Beamter, der das Ergebnis meiner Presseausweis-Kontrolle mitteilte: Mein Presseausweis (so wie jeder Presseausweis, sei nur mal so gesagt!) ist kein "amtlicher Lichtbildausweis". Ergo: "Mitkommen. Der Frosch [Gefangenentransporter, Anmk.] steht um die Eck'n. [...] Deutschmeisterplatz."
Ich wurde nun ca. 30 Meter Richtung Minoritenplatz gebracht und in einen Gefangenentransporter gesteckt, wo ich die nächsten zehn Minuten erstmal warten musste - während vor dem Gefangenenwagen der Pressesprecher der Wiener Polizei den umstehenden JournalistInnen erklärte, es würde sich "nur" um eine Identitätsfeststellung handeln.
Und da ich keinen Führerschein besitze und auch nicht mit dem Reisepass unterwegs war bedeutet das - wenn der Einsatzleiter es so befiehlt - vorübergehendes "in Gewahrsam nehmen" bis meine Identität "zweifelsfrei" festgestellt werden kann. Am Deutschmeisterplatz nach einer halben Stunde schließlich angekommen, wussten die dort diensthabenden Beamten nicht so recht, was sie mit mir anfangen sollten. Wenns nach ihnen ginge, schien ihnen der Studierendenausweis (mit dem ich mich auch bisher stets zur Zufriedenheit der Beamten ausweisen konnte) eigentlich ganz gut zu passen - aber nach Rücksprache mit dem Vorgesetzten wurde immer wieder klar, dass das gründlich erledigt werden müsse. Also wurde ich nach dem Ausstellungsdatum meines - nicht anwesenden - Reisepasses gefragt. Schließlich bräuchten sie ein Foto irgendwo in ihren Akten, um meine Identität quasi beweisen zu können. Da mein Reisepass offenbar bereits "zu alt" ist, war kein Foto in der (ihnen zugänglichen) Datenbank vorhanden. Also musste die zuständige Bezirkshauptmannschaft eruriert werden, bei der schließlich auch angerufen wurde - damit diese dem Kommissariat die entsprechenden Dokumente inklusive Foto zuschicken. Die ganze Prozedur dauerte wohl noch einmal über eine halbe Stunde, bis ich schließlich um 13:15 freundlichst verabschiedet wurde. Irgendwie war mit der ganzen Aktion niemand so wirklich zufrieden - außer dem Einsatzleiter, allem Anschein nach.
Ergebnis: eine weitere Anzeige gegen ein LIV3- und WienTV-Redaktionsmitglied
Ich erwarte nun eine Anzeige nach dem Versammlungsgesetz (wogegen ich natürlich Einspruch erheben werde), obwohl ich mich von Anfang an als Presseangehöriger ausgewiesen habe. Als einzige Person hat man sich bei mir nicht mit einem Studierenden-, SchülerInnen- oder Presseausweis zufrieden gegeben, obwohl man mir nichts anderes als eine Verwaltungsübertretung (§ 4 Versammlungsgesetz) vorwirft, ich mich ausweisen konnte und alle gesetzlich erforderlichen Angaben (Wohnsitz, Geburtsdatum etc.) auf Nachfrage gemacht habe. Nicht zuletzt im Kontext mit denHausbesuchen der Polizei bei meinem Redaktionskollegen - ebenfalls wegen angeblichen Verwaltungsübertretungen nach dem Versammlungsgesetz - muss ich mich schon fragen, was ich davon halten soll. Um es mal unaufgeregt zu formulieren. Das mit der "Pressefreiheit" scheint in der Polizeiausbildung nach wie vor eindeutig zu kurz zu kommen.
Ich hingegen kenne meine Rechte und auch die Praxis der österreichischen Rechtssprechung bzw. "notfalls" jener des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, bei dem Österreich übrigens auf Platz 1 bei den Verstößen gegen die Meinungs- und Pressefreiheit liegt. Einen schönen Abend noch aus Wien.