Offensive 77
Dieser Begriff wurde von der „Rote
Armee Fraktion“ (RAF) für die Operationen zur Befreiung der sogenannten
„Ersten Generation“, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Karl Raspe
verwendet (Ulrike Meinhoff nahm sich am 8./9. Mai 1976 das Leben). Unter
anderem verstand man darunter die beiden Anschläge auf Generalbundesanwalt
Buback und Arbeitgeberpräsident Hans-Martin Schleyer. Damit wollte man die
Genossen aus dem Gefängnis freipressen. Peter-Jürgen Boock formulierte es so:
Die für 1977 vorgesehenen Aktionen hatten ihren Schwerpunkt
in der Befreiung der Gefangenen. Die Gruppe war der Auffassung, daß die
Entführung einer einzelnen Person nicht ausreichen würde, um das angestrebte
Ziel durchsetzen zu können. Es sollte deshalb eine zweite Person in einem
zeitlich kurzen Abstand entführt werden, insbesondere um auch Gegenmaßnahmen
durch die Fahndung zu vermeiden. Die beiden Aktionen sollten Schlag auf Schlag
erfolgen und sich gegenseitig ergänzen. (Protokoll der Vernehmung von Peter-Jürgen Boock
am 1. April 1992)
Peter-Jürgen Boock gehörte auch zur „Zweiten Generation“ der
RAF, obgleich er bereits 1969 erstmals Kontakt zu Andreas Baader, Gudrun
Ensslin und Thorwald Proll hatte. Boock gab den Kontakt damals aber auf, er
wurde lange Jahre hindurch heroinabhängig. Umstrittenen Berichten zufolge war
er es auch während der Offensive 77. Als sogenannter Techniker der RAF baute er
Bomben, Raketenwerfer und andere schwere Waffen, mit denen die Entführungen und
Ermordung angesehener deutscher Politiker und Wirtschaftsfachleute begangen
werden sollten. Boock saß bis 1988 seine Strafe ab, nachdem er 1981 verhaftet
und verurteilt wurde. Er sagte sich noch in der Haft von der RAF los.
Die Offensive 77 begann mit der Ermordung von
Generalbundesanwalt Siegfried Buback am 7. April 1977. Buback hatte das Amt
seit 1974 inne und war mit der Prozessführung gegen die Mitglieder der „Ersten
Generation“ der RAF betraut worden. Seine Ermordung übernahm das „Kommando Ulrike
Meinhoff“. Dieses bestand – nach heutigen Erkenntnissen aus Ulrike Mohnhaupt,
Christian Klar und Knut Folkerts. Es konnte aber nicht geklärt werden, wer der
Todesschütze war. Ebenfalls verhaftet wurde Verena Becker, ein RAF Mitglied,
dass über die Bewegung 2. Juni dazugestossen ist. Sie wurde 2012 wegen Beihilfe
zu vier Jahren Haft verurteilt, ging aber in Revision. Ein endgültiges Urteil
steht noch aus. Becker gab in den 1980er Jahren an, dass ein gewisser Stefan
Wisniewski der Todesschütze gewesen sei. Wisniewski war schon an der
Geiselnahme der Stockholmer Botschaft 1975 beteiligt gewesen, aber nicht
festgenommen worden. 1978 wurde er verhaftet und saß bis 1999 im Gefängnis.
Seine Tatbeteiligung wurde auch von Peter-Jürgen Broock 2007 bestätigt.
Als Reaktion wurden Baader, Ensslin und Raspe am 18. April
1977 zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt.
Mitglieder der Offensive 77 überfielen daraufhin am 1. Juli
1977 ein Waffengeschäft, um die Ermordung von Jürgen Ponto vorzubereiten.
Dieser war Vorstandssprecher der Dresdner Bank. Damit gehörte er zu den führenden
Finanzexperten des Landes. Ponto wurde von seinem Patenkind Susanne Albrecht in
die Falle gelockt und vom Kommando „ Aktion Roter Morgen“ am 30. Juli 1977
beim Versuch, ihn zu entführen erschossen.
Neben Ulrike Mohnhaupt und Jan-Karl Raspe waren Susanne Albrecht,
Sieglinde Hofmann und Christian Klar daran beteiligt.
Am 25. August versuchte die RAF einen Raketenwerferanschlag
auf die Bundesanwaltschaft, der allerdings misslang.
Seinen Höhepunkt erreichte der Terror im sogenannten „Deutschen Herbst“, dessen
Kernstück die Entführung (und spätere Ermordung) des deutschen
Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer bildete. Schleyer wurde am 5.
September 1977 mit dem Ziel der Freipressung der Ersten Generation der RAF
entführt. Hauptverantwortlich war ein „Kommando Siegfried Hausner“ (benannt nach
dem 1975 in Stammheim gestorbenen RAF-Terroristen) welche mittels einer
Telefonkette die Voraussetzung für die gelungene Entführung schaffte. Bei der
Schiesserei wurden alle vier Begleiter Schleyers tödlich getroffen. Bis heute
konnten Peter-Jürgen Boock, Sieglinde Hofmann, Stefan Wisniewski und
Willi-Peter Stoll identifiziert werden, obwohl noch die Anwesenheit einer
fünften Person als sicher festgestellt werden konnte. Mit seiner Entführung
sollten alle inhaftierten RAF Terroristen freigepresst werden. Schleyer war 44
Tage in der Gewalt seiner Entführer und wurde am 19. Oktober – einen Tag nach
der Todesnacht in Stammheim – ermordet.
Fast zeitgleich wurde eine Lufthansa Maschine, nämlich die
Landshut von FEDAJIN entführt, die damit unter anderem auch die
RAF-Terroristen freipressen wollte. Sie wurde am 13. Oktober 1977 auf dem Flug
von Mallorca nach Frankfurt entführt und sechs Tage später auf dem Flughafen in
Mogadishu von Einheiten der neugegründeten GSG 9 gestürmt. Verantwortlich für
die Entführung war ein Kommando der PLFP. Die vier Entführer nannten sich „Kommando Martyr
Halimeh“ – diesen Decknahmen verwendete die in Entebbe erschossene
Flugzeugentführerin Brigitte Kuhlmann. Sie war eine Terroristin der
Revolutionären Zellen. Nach der Erstürmung der „Landshut“ kam es in der Nacht
vom 18. auf den 19. Oktober zur „Todesnacht in Stammheim“ – alle drei
Mitglieder der Ersten Generation begingen unter zum Teil mysteriösen Umständen
Selbstmord (zwei hatten sich erschossen), woraufhin die RAF am 19. Oktober
Schleyer exekutierte.
Nach
dem Tod der drei Anführer Ensslin, Baader und Raspe stellte die „Offensive
77“ ihre Tätigkeit ein, da der Anlass nicht mehr gegeben
war. Heute leben noch einige Protagonisten der Organisation – teilweise sogar
in Freiheit.