Mittwoch, 6. Juni 2012

Fußballfans – die neuen Terroristen?


Fußball. Volkssport Nr. 1 in Deutschland, die schönste Nebensache der Welt. Fußball. Aktuell DAS Thema schlechthin in allen Medien. Aufmacher in allen Zeitungen, Sondersendungen, Talkshows, die sich stark auf den Fußball fokussieren, obwohl die Bundesligasaison soeben vorbei ist. Was ist passiert? Glaubt man dem medialen Sturm der Empörung, könnte man meinen wir stünden kurz vor der Destabilisierung des Landes durch Fußballfans.
Nun wollen wir als Fandachverband ganz sicher nicht verharmlosen, was in den letzten Wochen auf vielen Rängen und Spielfeldern passiert ist. Wir wollen aber, dass das Geschehene sachlich und differenziert betrachtet und aufgearbeitet wird. Denn genau das geschieht zur Zeit in den meisten Fällen nicht. Mit einer Mischung aus Wut und Fassungslosigkeit verfolgen wir wie viele andere leidenschaftliche Fußballfans die politischen Meinungsäußerungen und medialen Berichterstattungen zu den Geschehnissen in Deutschlands Kurven der letzten Wochen.
Eines möchten wir gleich zu Beginn klarstellen. Wir tolerieren und entschuldigen in keinster Weise jegliche Ausschreitungen oder gewalttätige Eskalationen in und außerhalb der Fußballstadien, wir distanzieren uns davon. Gewalt gehört nach unserem Selbstverständnis weder in die Stadien, noch haben Ausschreitungen auf den Wegen von und zu den Spielstätten etwas zu suchen. Und auch wenn es für uns Fans nicht schön ist, Pyrotechnik ist verboten und wird es nach einem verlogenen sogenannten Dialog mit DFB und DFL auch bleiben. Dies gilt es zähneknirschend hinzunehmen, Beifall allerdings kann insbesondere nach der Art und Weise des Zustandeskommens dieser Entscheidung niemand ernsthaft erwarten.
Absolut nicht hinnehmbar ist jedoch, was sich seit den Geschehnissen beim Relegationsspiel in Düsseldorf in der deutschen – insbesondere der medialen - Öffentlichkeit abspielt.
Was ist in Düsseldorf geschehen? Aus dem Fanblock von Hertha BSC Berlin wurden bengalische Fackeln auf das Spielfeld geworfen, später wurden Böller gezündet und ebenfalls über andere Fans hinweg auf das Feld geworfen. Bengalische Fackeln brannten auch im Fanblock von Fortuna Düsseldorf. Kurz vor dem regulären Ende des Spieles interpretierten Fans von Fortuna Düsseldorf einen Pfiff des Schiedsrichters als vermeintlichen Abpfiff des Spiels und rannten voller Freude und Emotionen auf das Feld im Glauben, das Spiel sei vorbei. Zweifelsohne, es war dumm und unüberlegt, auf den Platz zu rennen. Aber war es auch gefährlich? Waren es gar „Ausschreitungen“, von denen landauf landab nun gesprochen wird? Völlig undifferenziert werden jedoch von den allermeisten „Experten“, die sich seitdem gefragt oder ungefragt zu den Ereignissen äußern, der vollkommen friedliche Strom der Düsseldorfer Fans auf den Platz mit den in der Tat gefährlichen Würfen der bengalischen Fackeln u.a. in einen Topf geworfen. Die Welle der Empörung im Land ist riesig. Vorurteile und Klischees greifen um sich wie ein ansteckender Virus.
Themen, die sicherlich zu diskutieren sind über die Ereignisse der gesamten letzten Saison, gefährliche Vorfälle wie die Ausschreitungen beim Pokalspiel zwischen Dynamo Berlin und Kaiserslautern oder beim Relegationsspiel Karlsruhe-Regensburg werden auf die gleiche Stufe gestellt wie der Platzsturm in Düsseldorf. Differenzierung? Fehlanzeige. Frage nach den Motiven? Den möglichen Folgen? Fehlanzeige. Pauschal werden alle Geschehnisse in einen Topf geworfen und verurteilt. Dies nicht nur von uninformierten, der Fußballkultur fernen Menschen, nicht nur vom Boulevard, nein, auch von scheinbar seriösen Medien und öffentlich-rechtlichen Anstalten, denen man mehr als die billige Jagd nach Schlagzeilen und populistisches Heischen nach Aufmerksamkeit und Quote zugetraut hätte.
Da gibt es zunächst Sondersendungen wie ZDF-Spezial und einen Brennpunkt, die früher einmal dann angesetzt wurden, wenn wirklich dramatische Ereignisse geschehen waren. Da folgt Talkshow auf Talkshow über die Thematik der Fußballfans und schon die Titel der Talkshows lassen eine Tendenz erahnen. An seriöser Aufarbeitung der Geschehnisse scheint man nicht interessiert. Stattdessen werden schlagzeilenträchtig und bildgewaltig Dinge miteinander vermischt, die nicht miteinander vermischt gehören.
Ultras werden pauschal als Hooligans verurteilt, Frau Maischberger diffamiert diese gleich als „Taliban des Fußballs“. Choreos und Fahnenschwenken werden als „mystische Rituale und “faschistoides Gemache“ betitelt. Nicht hinterfragt, in völliger Unkenntnis der Tatsachen, undifferenziert und unwidersprochen. Stimmen, die versuchen, hier Einspruch zu erheben, werden nicht gehört oder nicht für voll genommen. Doch Herr Kerner, Herr Bierholz hat vollkommen Recht: es gibt nicht nur auf Seiten der Fußballfans Chaoten und Gewalttäter, es gibt auch Polizisten, die sich aggressiv und erlebnisorientiert verhalten. Es ist korrekt, auch hier darf nicht pauschalisiert und die ganze Polizei kriminalisiert werden. Es handelt sich dabei um Einzelfälle. Selbst diese aber werden als nicht existent abqualifiziert, Herr Bierholz als unglaubwürdig bezeichnet. Immerhin ist Herr Bierholz offiziell im Auftrag des Düsseldorfer Fanprojektes tätig, u.E. also jemand, der sich mit der Materie auskennt. Deutlich mehr als die Herren Kerner, Pocher und Schneyder, die Fankurven wohl eher vom Hörensagen kennen und sie eher von ihren VIP-Plätzen beobachten, denn sich ernsthaft mit ihnen auseinanderzusetzen – so sie das überhaupt wollen.
Genauso wenig wie man die Einzelfälle auf Seiten der Polizei verallgemeinern kann und darf erwarten wir Fußballfans aber auch, dass auf Seiten der Fans von wenigen Chaoten auf die Allgemeinheit geschlossen wird. Natürlich ist es in keiner Weise tolerabel, wenn Fanbusse von anderen Fangruppierungen angegriffen werden, natürlich ist es inakzeptabel, wenn auf welche Art und Weise auch immer Gewalt gegen andere ausgeübt wird. Wenn beim Spiel Karlsruhe-Regensburg über 70 Personen verletzt werden, dann ist das schockierend. Es ist aber auch inakzeptabel, wenn nun alle Fans über einen Kamm geschoren werden und dabei alle Ereignisse in einen Topf fließen. Der Platzsturm in Düsseldorf war eine vollkommen anders zu bewertende Situation als jener in Karlsruhe. Findet sich ein solcher Hinweis in den Medienberichten und Diskussionssendungen? Selbst mit der Lupe nur äußerst schwer, wenn überhaupt.
Stattdessen beginnt ein Überbietungswettbewerb, in dem Politiker, Verbands- und Vereinsoffizielle, Kommentatoren und Comedians sich gegenseitig mit Forderungen übertrumpfen, wie nun zu reagieren sei. Mehr Strafen, härtere Strafen. Sind das Hochfahren von Zäunen und das Eintreiben von Geldstrafen bei den Verursachern noch ein vergleichsweise harmloses Mittel, so treffen andere Vorschläge mehrheitlich die falschen. Unter der Abschaffung von Stehplätzen würden tausende vollkommen unbeteiligte Fans leiden, die als Mittel bezeichnete Einführung eines Nacktscanners die Persönlichkeitsrechte tausender Unbeteiligter Fans verletzen, ganz davon abgesehen, dass Sie in der Europäischen Union zum Einsatz nicht bzw. nur testweise unter schärfsten Auflagen freigegeben sind.
Natürlich ist klar, dass man sich Gedanken macht, wie man auf die Geschehnisse speziell zum Ende der letzten Saison reagiert, wie man zukünftig verhindert kann, dass sich bestimmte Dinge wiederholen. Aber es gilt dabei zum einen Ruhe zu bewahren und zum anderen den Überblick, was denn nun eigentlich passiert ist. Vor allem aber gilt es, und hier können wir immer wieder nur auf die positiven Erfahrungen vor Ort in Leverkusen verweisen, miteinander zu reden und nicht übereinander. Volker Lange, Leiter der Polizeiinspektion Köln-West und zuständig für die Fußballeinsätze hat kürzlich in einem Radiointerview betont, wie wichtig der Dialog ist und das dieser keinesfalls fallen gelassen werden darf. Dies können wir nur unterstreichen.
Wenn allerdings ein solcher Dialog in und von manchen Medien nur belächelt und abqualifiziert wird, dann werden alle ernsthaften Bemühungen der deutlichen Mehrheit der Fußballfans konterkariert.
Erschreckend ist dabei die Rolle, die viele Medien spielen. Quote scheint über Qualität zu stehen, Schnelligkeit über Recherche, Platitüde über Hintergrund. Dabei wäre es gerade die Aufgabe von Journalisten, insbesondere auch Moderatoren in Diskussionen, sich zum einen vernünftig vorzubereiten, zum anderen aber auch ihrer Aufgabe der Moderation nachzukommen und nicht niveauloser Stichwortgeber für den Boulevard zu sein. Darüber hinaus sind viele Medien hier scheinheilig. Wird Pyrotechnik in Deutschland immerfort als gefährlich und Werk von Chaoten, Hirnverbrannten und Verbrechern bezeichnet, so wird bei Spielberichten aus südlichen Ländern über exakt die gleiche Pyrotechnik immer nur von „südländischer Begeisterung“ gesprochen, von Flair und Atmosphäre, die das den Spielen gebe. Kann, wer so arbeitet, ernst genommen werden? Als seriöser Mediator gelten? Offenbar geht es darum vielfach leider nicht mehr. Es zählt wie im Sport auch nur noch der schnelle Erfolg. Was im Bundesligaspiel drei Punkte sind, ist in vielen Medien nur noch die Quote und Auflage.
Natürlich kann man auch auf Seiten der Medien nicht pauschalisieren und alle Journalisten in einen Topf werfen. Wir bedanken uns daher bei denjenigen, die sich die Mühe gemacht haben, hinter die Vorhänge der Bühne zu sehen, über die sie berichten. Die hinterfragen und differenzieren und nicht pauschal alle und alles über einen Kamm scheren. Bei denjenigen aber, die in den letzten Tagen sensationsheischende Aufmacher und Schlagzeilen produziert haben, können wir uns nicht bedanken.
Wir als NK12 sehen diese Entwicklung der Berichterstattung über den Fußball und seine Fankultur sehr kritisch. Wir wünschen uns, dass es ein Umdenken der entsprechenden Medien geben und deutlich mehr Recherche betrieben und differenzierter über unsere Kultur berichtet wird. Feiernde Fans und Randalierer dürfen nicht mehr in einen Topf geworfen werden!
Wir wünschen uns, dass die mediale Panikmache nicht dazu führt, dass darunter die Kommunikation zwischen Fans, Vereinen und Sicherheitsorganen leidet. Denn Kommunikation ist nach wie vor der erste und wichtigste Schritt im Kampf gegen mögliche Gewalt rund um den Fußball!