Montag, 28. Mai 2012

Neues zur ARD "Expertenrunde"


Alles Chaoten außer Mutti!

von altravita · Donnerstag, 24. Mai 2012 · (35) Kommentare 


In Düsseldorf gab es einen Platzsturm und seitdem drehen weite Teile der Medien frei. Im ach so sicheren England mit seinen reinen Sitzplatzstadien mit Preisen für Besserverdiener und zwei Stewards pro Gast gab es anlässlich Manchester Citys Titelgewinn zwar auch einen solchen, aber Kohärenz soll uns ja nicht scheren. Aufgrund der bürgerkriegsähnlichen Zustände bescherten uns ARD und ZDF formidable Sondersendungen zum Thema, in denen auch Experten wie Marijke Amado, Bernd Stelter (als Ersatzmann für Kai Pflaume!), Johannes B. Kerner oder Oliver Pocher ihre Sicht auf deutsche Kurven zum besten geben konnten. Soweit man die von hinter den Lachsschnittchen aus sehen kann, versteht sich. Schließlich hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk ja einen Bildungsauftrag und wird gebührenfinanziert, um unabhängig von wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeiten objektiv darüber zu berichten, was die Bundesrepublik bewegt. Ich will mich gar nicht weiter darüber auslassen, wie die Sendungen im Detail abliefen, die 11 Freunde haben das deutlich besser und viel lustiger getan, als ich dies vermag. Und die "11 Freunde" sind sicherlich völlig unverdächtig, besonders ultrà-affin zu sein, legen aber mit einem Interview mit Fan-Anwalt Marco Noli nach. Der weist u.a. darauf hin, dass die Verletztenzahlen rückläufig sind (die tatsächlichen, nicht die gefühlten) und auf dem Oktoberfest prozentual deutlich mehr passiere. Aber selbst Krawallmedien wie die Hamburger MoPo, sonst eher ein Sturmgeschütz der Stadienbefriedung, äußert ein ganz deutliches Kopfschütteln anhand der Comedy-Sendung im ARD-Programm. Meine Meinung zum "Warum?" fasst bestens der hervorragende Beitrag eines Forumisten aus den Spiegel-Online-Kommentaren zusammen, den ich mir erlaubt habe, hier wiederzugeben:
"Es dürfte doch jedem Beobachter des Themas, der nicht mit dem Schaum der braven Bürgerlichkeit vor dem Mund rumläuft, klar sein, dass Seenotrettungsfackeln (denn das sind die so genannten "Bengalos" ja eigentlich) für beide Seiten dieses eskalierenden Kulturkampfes nur Symbole sind. Da kann die Putenwurst noch so viele Puppen abfackeln – fest steht, dass es in deutschen Stadien trotz viel mehr Zündelei keine Verletzten gab und gibt. Gerade JBK bewies gestern überdeutlich, auf welcher Seite des Kampfes er steht: Auf der von FIFA, UEFA, DFB, DFL und FC Bayern München, allesamt honorige, hoch seriöse Institutionen. Die aber eine Agenda haben: Aus dem Fußballsport das Fußball-Business zu machen, weil diese Organisationen und deren Protagonisten sowie Medienmenschen wie eiben Kerner davon in höchstem Maße wirtschaftlich profitieren. Auf der anderen Seite stehen die – man muss es wirklich so sagen – Bewahrer der FußballKULTUR. Die leitet sich her aus der Geschichtes des Fußballs als Proletensport, als befreite Zone für Unterschichtkinder, als Ort, an dem die emotionale Überwältigkeit Platz hat und in jeder Hinsicht ausgelebt werden kann. Was seit Mitte der Achtziger in Europa stattgefunden hat, kann man die Gentrifizierung des Fußballs nennen: die kalte, wie sich herausstellt feindliche Übernahme durch Besserverdiener. Wer sich als Student so um 1982 in einen Stehblock verirrte, konnte damit rechnen, von den Fans der eigenen Mannschaft aufs Maul zu kriegen, weil man Oberschüler und Studenten eben aufs Maul gibt. Das war für die Betroffenen unschön, aber auch ein Versuch, den Fußball für sich zu behalten. Und so wie Stadtviertel nach der Gentrifizierung schön aufgeräumt, clean und harmlos sind, so soll auch der moderne Fußball werden, denn nur mehr brave Bürger auf den Tribünen und vor allem auf den Sofas vorm TV konsumieren mehr, spülen also mehr Geld in die Kassen, noch mehr Geld und immer noch mehr Geld. So wie die Quadratmeterpreise in gentrifizierten Quartieren steigen und steigen. Dass solche Kerners, Pochers, Rauballs und wie sie alle heißen, mittlerweile vollkommen abgeschirmt von den Fans existieren, ist klar. Aber dass in den Fanblocks nicht irgendwelche gewaltbereiten Ultras und Hooligans stehen, die völlig unreflektiert Krawall und Randale wollen, weiß ja in der bunten Medienwelt kaum jemand. Da stehen 20-jährige Fensterputzerlehrlinge immer noch neben der Omma und dem Inhaber einer Wirtschaftsprüferkanzlei, da wird diskutiert über die Zustände, und da wird sehr genau beobachtet, wer diesen Fans auf welche Weise die Freude am Fansein nehmen will. Typen wie Kerner und Pocher sollten mal mit "ihren" Mannschaften zum Auswärtsspiel reisen, im Fanbus oder Sonderzug. Und sich dann nicht wundern, wenn sie am Ziel auch schon mal grundlos Knüppel und Pfefferspray abbekommen – das ist die Realität."
Zitat aus dem SPON-Forum von Rainer. Besucht auch sein Blog zum Thema!
Soweit, so nachvollziehbar. Interessant ist dabei höchstens noch, mit welcher Nonchalance bei Maischberger wie "Hart aber Fair" jegliche journalistische Mindeststandards unterflogen werden, um am großen Ziel mitzuwirken. Ich bin ja Träumer und messe journalistische Produkte an der Maßgabe, dass diese dem geneigten Leser, Hörer oder Zuschauer mitzugeben hätten, WAS?, WANN?, WO?, WARUM? passiert sei und moralische, ethische oder sonstige Bewertungen ins Feuilleton zu verschieben. Was ARD und ZDF hingegen aufführten, und ja beileibe nicht als einzige, ist die mediale Hinrichtung größerer Menschengruppen. Selbstverständlich ohne diesen eine echte Chance zu geben, sich und ihre Motivationen darzustellen oder gar zu verteidigen. Schon allein weil die, über die hier gerichtet wird, nicht anwesend sind. Sehen wir des Arguments halber mal von den Komparsenauftritten des Mitarbeiters des Düsseldorfer Fanprojekts oder der Dortmunderin einmal ab. Die beiden hätten sicherlich noch eine Menge Interessantes zu sagen gehabt, aber wenn sie überhaupt zu Wort kamen, wurden sie von den Profi-Medienvertretern professionell aus dem Spiel genommen. Und was sind schon abgewogene Worte und Differenzierungen dagegen, dass der sogenannte Starmoderator JBK mit einem grell leuchtenden Bengalo eine Puppe abfackelt? Offensichtlich reicht es ja, früher einmal die "Mini Playback Show" moderiert zu haben, um mehr Redezeit zu erhalten als so Stadionfans. Dass angesichts dieser tendenziösen sogenannten "Berichterstattung" die große Mehrheit derjenigen, die sich für Fußball überhaupt nicht oder wenn nur vom Sofa aus interessieren der Meinung ist, in Fußballstadien würden regelmäßig Menschen enthäutet und verspeist, ist klar. "Randale", "Krawalle", "Chaoten", "Blutbad", "Todesangst", "Gewalttäter", "Hooligans", "Idioten", "Szenen, die wir in keinem Stadion sehen wollen", "Schande".
Weniger klar ist, wieso ein Moderator oder eine Moderatorin einer solchen Sendung, keinerlei Hinweis auf die Rollen der eingeladenen Gäste gibt, sondern diese unwidersprochen ihrer Agenda nachgehen lässt. Wieder ist es Fananwalt Noli, der in der Nachbetrachtung auf die offensichtlichste aller Tatsachen hinweist: Die eingeladenen Vertreter der Polizei sind nicht vor Ort eingesetzte Beamte oder Einsatzleiter, sondern Vertreter der Polizeigewerkschaften, die Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Ein irgendwie gearteter Anspruch von Obiektivität zwingt doch geradezu zu einer Rückfrage auf die Interessen der eingeladenen Gäste. Oder wollen wir es als Zufall verbuchen, dass Joachim Lenders, Stellvertretender Bundesvorsitzender der DPolG wieder einmal das alte Märchen aufkocht, dass Polizeieinsätze im Fußball "den Steuerzahler" jährlich 100 Millionen Euro "kosten"? Ich will hier nicht zum hundertsten Mal nachrechnen, dass der "Steuerzahler" auch nach Abzug der Uniformierten durch den boomenden Fußballbetrieb deutlich mehr einnimmt, als er ausgibt. Aber die Frage darf gestattet sein, wieso in den Öffentlich-Rechtlichen völlig unwidersprochen Lobbyarbeit betrieben werden kann, während die Fanseite … wie nennen wir es … "unterrepräsentiert" bleibt? Dass Choreografien ernsthaft als "faschistoide Versammlungsrituale" bezeichnet werden dürfen? Ultras als "bummsdumm"? Es mag ja sein, dass den vielen Profiteuren des Profisports Fußball ein Fan vorschwebt, dem die "TicTac Fanrassel" der höchste denkbare emotionale Ausbruch ist. Es ist aber ebenso klar, dass der Umbruch eines über Jahrzehnte eher proletarisch geprägten Publikums hin zum Eventkonsumenten nicht ohne Brüche vonstatten gehen wird, weil Menschen sich wehren, wenn ihnen etwas weggenommen wird. Ich könnte mir sogar eine Sondersendung zu ausgeuferten Polizeieinsätzen vorstellen, zu Polizeigewalt, zu unvorschriftsmäßigem Einsatz von Pfefferspray. Einfach so, der Ausgewogenheit halber. Selbstverständlich sind nicht alle Polizisten "Bastarde", aber ich fände es interessant, auch hier einmal über die Minderheit von Beamten zu sprechen, die im Einsatz eine Spur über das hinaus gehen, was die Situation erfordert. Es spricht absolut nichts dagegen, auch Fälle von Polizeigewalt im Einsatz – ausgewogen, objektiv und recherchiert – zu beleuchten. Ein Sender dafür, der seinen Bildungsauftrag ernst nimmt, sollte sich doch finden lassen, oder?
Ein Platzsturm vor Spielende ist dumm und vielleicht hätte es potentiell auch gefährlich werden können. Brennende Seenotfackeln aufs Spielfeld zu werfen, wie es die Herthaner in Düsseldorf zelebrierten, ist deutlich dümmer und gefährlicher. Überhaupt ist der Einsatz von Pyrotechnik in deutschen Stadien verboten und wie immer, wenn etwas verboten ist, muss man sich über Strafen nicht wundern. Völlig egal, wie ich selbst zum Thema Pyro stehe ist es auch mir einsichtig, dass auf solches Stadionverbote und Geldstrafen folgen. Überfälle auf Fanbusse mit Steinen und Flaschen mit teils schweren Verletzungen sind kriminelle Handlungen und als solche gehören sie verfolgt und verurteilt. Wohlgemerkt: Die Täter, nicht Stehplatzfans als solche. Welcher der richtige Weg ist, Gewalt aus Fußballstadien zu verbannen, soll hier nicht diskutiert werden, die Spirale aus Frust und Radikalisierung exerziert die Stuttgarter Zeitung durch. Seiner Freude darüber, trotz Stadionbesuch noch zu leben, gibt der Autor der Publikative Ausdruck. Und ich selbst hatte mich ja an einerironischen Analogie zur Sicherheitssituation auf Volksfesten versucht. Auch wie die immer wieder öffentlichkeitswirksam verkündete "Dialogbereitschaft" der Vereine und Verbände in der Realität aussieht, werde ich hier nicht diskutieren können.
Worauf ich hinaus will, ist dass die Darstellung von Bundesligakurven völlig aus dem Ruder gelaufen ist und aus der kommoden Distanz der Logenplätze und Pressetribünen (bestenfalls) über zehntausende junger Menschen geurteilt wird, die Stadionkurven bevölkern. Darunter gibt es Gewalttäter, illegale Zündler, Psychopathen und Kriminelle. Keinerlei Statistik belegt jedoch, dass es dort "bürgerkriegsähnliche Zustände" gibt, "Blutbäder" oder gar "alles immer schlimmer" würde. Nichts deutet darauf hin, dass diese Elemente dort die Mehrheit oder auch nur einen großen Teil stellen würden. Gesetzesüberschreitungen sind zu verurteilen und zu ahnden und aus mancher Kurve würde ich mir deutlich mehr kritische Distanz zu Fehlverhalten in den eigenen Reihen wünschen. Von den "Taliban der Fans" zu fabulieren ist allerdings nichts anderes, als eine Verhöhnung der tausenden Opfer religiöser Fanatiker. Witzigerweise hatte die Reutlinger "Szene E" Ihre Meinung zum Thema schon viel früher bekanntgegeben: "Ultras als Staatsfeind Nr.1…Sorry Al-Kaida!" titelten sie. Sinnvollerweise ist es weitgehend geächtet, Menschengruppen zu verunglimpfen und zu kriminalisieren, sei es aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, Herkunft oder Glaubensrichtung. In sinnvollen Massenmedien findet dergleichen nicht statt. Außer in der Berichterstattung aus deutschen Fußballstadien, die dem geneigten Leser oder Zuschauer das Bild vermitteln, es wäre nur unter Lebensgefahr möglich Fußballspiele live anzuschauen, weil sich dort ausschließlich Chaoten herumtreiben, die ihre prekariats-befeuerten Frustrationen und ihren niedrigen Bildungsstand dadurch abfeiern, dass sie sinnlos Menschen angreifen und verletzen.
"Die meisten Medien haben häufiger einen Reflex zu skandalisieren und sind an einer sachlichen Diskussion gar nicht interessiert. Mittlerweile hat diese Hysterie das Ausmaß einer Hetzkampagne gegen Fußballfans erreicht. Das halte ich für sehr gefährlich. Begriffe wie »Randale«, »Krawalle« und »Ausschreitungen« werden völlig undifferenziert und inflationär verwendet. Die gesamte öffentliche Debatte ist völlig von der Realität abgedriftet."
Nun, ich habe auf Lesungen, Vorträgen und bei sonstigen Besuchen eine ganze Reihe Ultràgruppen der ersten drei deutschen Ligen kennenlernen dürfen, habe mit ihnen diskutiert und in ihrer Kurve gemeinsam Fußballspiele besucht. Ich hatte das Privileg, in ihre Räumlichkeiten eingeladen zu werden oder auf ihren Sofas zu nächtigen, mit ihnen die Nacht durch Bier zu trinken, Kicker zu spielen, zu reden und zu streiten. Ich habe mir die Zeit genommen, ihnen zuzuhören. Und sie haben mir zugehört. Ich kenne ihre Namen, Gesichter, Telefonnummern und Wohnorte. Sicher waren wir nicht immer einer Meinung, ich bin ja wirklich nicht mehr im Altersdurchschnitt. Sicher waren die abgedrehtesten Vertreter bei einer Buchlesung nicht dabei. Sicherlich habe ich den nicht mehr zugänglichen harten Kern der Gewaltfanatiker nicht zu Gesicht bekommen und vermutlich hat man versucht, sich nett zu präsentieren. Aber ich habe Hunderte kennengelernt und Tausende gesehen. Ich habe unverantwortlicherweise mehr als einmal meinen zwölfjährigen Sohn dabei gehabt. Im Herzen der Kurve, direkt neben den Trommeln, genauso wie ich es in Italien jahrelang getan habe, ohne dass auch nur einmal eine potenziell brenzlige Situation entstanden wäre. Aber ich habe erlebt, wie vierhundert Berliner Ultràs (jaja, die die Bengalos werfen) an einem Samstagabend, nach einem verlorenen Heimderby nichts besseres mit ihrer Freizeit anzufangen wussten, als geschlagene vier Stunden mit italienischen Ultràs und dem Fanforscher Jonas Gabler über das Woher und Wohin ihrer Jugendkultur zu diskutieren. Und dafür Eintritt zu bezahlen! Ich war auf demselbstorganisierten Fankongress im Januar in Berlin eingeladen, wo – völlig egal, wie man zu Zielen und Ergebnissen dieser Veranstaltung steht – viele junge Menschen Geld, Zeit und Mühe in Organisation und Durchführung investiert haben, ohne auf irgendwelche Finanzierungen zurückzugreifen. Ich habe viele Menschen kennengelernt, die als Mitarbeiter von sozialpädagogischen Fanprojekten ihre Zeit dem Dialog mit den heißesten der Fans widmen. Einrichtungen – wie die der Fanbeauftragten”, die eine sinnvolle Möglichkeit darstellen, mit tatsächlichen Konfliktsituationen umzugehen und Prävention zu betreiben. Deren Arbeit sich allerdings nicht so schreiend präsentieren lässt, wie die Parolen der Law&Order-Fanatiker. Ich habe junge Menschen kennengelernt, die weder rauchen noch Alkohol trinken. Genauso wie solche, die das Ende der Lesung schon nicht mehr erlebten, weil sie vom Bier dahingerafft waren. Ich habe Leute kennengelernt, die an verstorbene Freunde erinnern, die Gelder für wohltätige Zwecke sammeln oder sich gemeinnützig engagieren. Genau wie solche, die einfach geil darauf waren, wie viele Schals sie abgezogen haben und täglich darauf trainieren, noch besser zutreten und zuschlagen können.
Man muss Ultràs und Kurvengänger nicht mögen. Man kann sie kindisch finden, man kann ihren Männlichkeitskult, ihre Fahnenklauspielchen lächerlich finden. Man darf daran zweifeln, ob es sinnvoll ist, sein ganzes Leben etwas so schnödem wie einem Fußballverein zu widmen. Man kann ihre Dauergesänge als störend empfinden, man mag etwas dagegen haben, dass Fahnen und Rauch die Sicht auf das Spielfeld stören. Man kann sie aus den Stadien wegwünschen. Man muss Steinwürfe und Werfen von Bengalos verurteilen und verhindern. Man kann sie aber nicht ohne Anhörung allesamt zu "Chaoten" und "kriminellen Gewalttätern" zurechtschreiben. Kein Erfahrungswert und keine Statistik geben das her. Sie sind eine Realität in deutschen Stadien, die nicht dadurch abgeschafft wird, dass man sie kriminalisiert und – dadurch – radikalisiert. Und es darf nicht Aufgabe der Medien – zumal der sogenannten "Qualitätsmedien" und insbesondere des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – sein, Meinungen und moralische oder gleich rechtliche Bewertungen zu liefern. Ansonsten nehme ich mir die Freiheit heraus, meine zu liefern: Massenmörder bekommen eine fairere Berichterstattung als Kurvengänger. Über keine Bevölkerungsgruppe wird im Moment derart undifferenziert, tendenziös und ignorant berichtet, wie über Stadionbesucher. Es mag dem florierenden Fußballbusiness mit seinen erstaunlicherweise immer vollen Stadien gleichgültig sein, ob Pyros, Choreografien, Trommeln, Megaphone und Dauergesänge aus dem Fußball verschwinden. Italien 2012 lehrt aber, dass es nicht egal sein sollte, wenn viele zehntausende Jugendliche und junge Erwachsene mit einer ausgeprägten Verweigerungshaltung gegenüber der Medienlandschaft und insbesondere gegenüber dem Staat und seinen gesetzgebenden und ausführenden Vertretern aufwachsen.
"Nino hingegen ist der Fall für den Soziologen, den man in den Zeitungen analysieren konnte. Er, freiwilliger Helfer beim Roten Kreuz, der sich an Sonntagen in einen Mörder verwandelt. Wie ist das möglich? Woher stammt das soziale Unbehagen dieser Jugendlichen? Und weiter mit anderen Fragen zu was wir sind, wo wir hingehen, etc. Da gibt es nichts zu studieren, nichts zu verstehen. Nino und Claudio, Stadionkranke, widmen einfach einen Teil ihrer Freizeit der freiwilligen Hilfsdiensten."

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