Freitag, 3. Februar 2012

Augenzeugenberichte aus Ägypten


Zwei Tage nach der schrecklichen Tragödie nach dem Spiel zwischen Al Masry Port Said und Al Ahly Kairo schreibt ein führendes Mitglied der Ultras Al Ahlawy über die Gründe, wie und warum es zu den 73 Toten nach dem Spiel kam:

Es gibt drei Gründe warum die Ultras Ahlawy in den letzten zwei Monaten so vehement ihre Stimme gegen die Militärführung – eigentlich vor allem seit dem Tod von Mohamed Mustafa, der im November durch einen Schuss in den Rücken getötet wurde – erhoben. Bei unserem letzten Heimspiel gab es eine Ultras Ahlawy Revolutionschoreo (der Jahrestag der Ägyptischen Revolution jährte sich am 25. Jänner zum ersten Mal) mit massiven Gesängen gegen das Militärregime und hatten ein Spruchband mit dabei wo stand: „Ihr seid die Verbrecher.“ Dafür mussten wir vorgestern den Preis bezahlen.

Die Polizei erlaubte den Heimfans in Port Said den Eintritt mit Waffen, es gab keine Kontrollen und es wurde auch nichts dagegen unternommen, dass die Heimfans nach jedem Tor, also insgesamt drei Mal das Spielfeld stürmten. Dies ist in Ägypten bisher total ungewöhnlich gewesen und noch nie vorgekommen. Dazu waren die Sicherheitsbestimmungen bisher viel zu streng.

Die Armee versperrte die Ausgangstüren und liessen die Auswärtsfans ohne Schutz im Stadion. Ein Freund von mir, Ultra von Zamalek (der Stadtrivale von Al Ahly) sagte indirekt, es gab deswegen so viele Tote da die Leute, die hinaus wollten an den verschlossenen Toren erdrückt wurden. Normalerweise werden die Türen nur dann versperrt, wenn die Polizei im Stadion war oder das Gelände unter der Woche versperrt ist. Während der Spiele stehen normalerweise Polizisten an den Toren die offen sind. Diesmal waren sogar die Toilettentüren versperrt. Dies passierte zwei Minuten vor Spielende als schon Dutzende Fans auf der Laufbahn waren. Von der Polizei war zu diesem Zeitpunkt nichts zu sehen.

Der dritte Punkt war, dass Begegnungen zwischen uns und Al Masry bereits seit den 30er Jahren (damals war El Masry einer der grossen Vereine in Ägypten) risikoreich waren, seit letztem Jahr war der Hass noch gewachsen sodass es jetzt ein Hochrisikospiel ist. Schon lange bevor es die Ultragruppen in Ägypten überhaupt gab waren Ausschreitungen schon an der Tagesordnung, so erzählte mir mein Vater schon von derartigen Vorkommnissen die sich vor 15 – 20 Jahren ereignet haben erzählt. Er verbot mir auch immer, dorthin zu fahren. (In den Zeitungen wird die Begegnung zwischen Al Ahly und Ismailiya immer als die gefährlichere geschildert, dies stimmt aber nicht). Ich weiss nicht ob die derzeitige politische Situation die Sache noch verschärft hat (die Bewohner von Port Said waren immer strenge Mubarakanhänger) aber die Heimfans schickteten uns schon Tage vorher Botschaften wie „Bereitet euch zum Sterben vor“ und „Heute ist euer Todestag“ via Internet. Wir liessen uns nicht einschüchtern und bezahlten einen furchtbaren Preis.

Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man

Leider war dies eine sehr schwere Niederlage

 Spezialeinheiten standen wie immer vor dem Auswärtssektor – üblich bei allen Spielen in Ägypten – in zwei Reihen: eine hinter dem Tor und eine direkt vor der Kurve auf der Laufbahn. Doch sie taten nichts als die Heimfans zu Hunderten auf den Platz und in Richtung Auswärtssektor stürmten, mit Steinen und anderen Wurfgeschossen warfen und mit Stangen und Messern bewaffnet die Auseinandersetzungen suchten. Dabei machten sie auch nicht vor den Spielern Halt und einige unserer Jungs sprangen über den Zaun um sie zu schützen. Sie waren die ersten Opfer. Als die Heimfans vor unserer Kurve auftauchten machte die Polizei Platz für sie und liess sie passieren. Dann begann die Schlacht zwischen den Fangruppen. Durch die Übermacht zurückgetrieben stiegen wir einige Stufen hinauf und versuchten dagegenzuhalten. Wir hatten keine Zeit zu reagieren und dagegenzuhalten und die Polizei stand daneben und sah zu. Deswegen waren sie schnell in unserem Sektor und droschen mit Stangen auf uns ein, einige hatten sogar messer dabei. Sowas wie vorgestern habe ich noch nie im Stadion gesehen. Fast alle waren bewaffnet.

Durch den Angriff geschockt versuchten einige Leute durch einen Tunnel zu entkommen, der in ein grosses Freigelände hinter dem Auswärtssektor führte. Dieser war jedoch versperrt und so konnten die Flüchtenden nirgends mehr hin. Die meisten Toten wurden entweder erstochen, erschlagen erschossen oder im Tunnel erdrückt. Andere wurden an den Stiegenaufgängen erschlagen als die Masryfans mit Stöcken, Steinen und Bengalen auf alles eindroschen was vor ihnen stand. Es wurde eine Tragödie, fast jeder Dritte war verletzt oder konnte einen Freund benennen der verletzt oder sogar tot war.

Ultras ist eine Lebenseinstellung und keine Frage von Leben und Tod.

Es war eine schwere, traurige Niederlage. Armee und Polizei wollten uns bestrafen und ihren Hass auf uns freien Lauf lassen, dies gelang diesen hirnlosen Tieren ohne Ehre.